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3-SUBSTITUIERTE 4-IMINO-TETRAHYDRO-CHINAZOLIN-2-ONE UND

4-IMINO-5,5-DIMETHYL-IMIDAZOLIDIN-2-ONE ALS IMINKOMPONENTEN FÜR CARBAMOYLIERUNGSREAKTIONEN

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Bild 1 Allgemeine Darstellung der Stoffklasse

 

seit einiger Zeit beschäftigen wir uns mit "verkappten" Isocyanaten, die in Modellspaltungsreaktionen wie die freien Verbindungen reagieren können[1].

 

Bild 2 Ketimin Imidate / Chinazolininone und Imidazolidinone

 

Im Rahmen dieser Untersuchungen hatten sich die Umsetzungsprodukte zwischen Ketiminen oder Imidaten und Isocyanaten im Kressewurzeltest nach Butula[2]als bisher wirksamste Verbindungsklassen[3] erwiesen. Da beiden Stoffklassen die C=N - Doppelbindung am abzuspaltenden Molekülteil gemeinsam ist, suchen wir nach weiteren entsprechenden Strukturen und wollten daher 4-Imino-tetrahydro-chinazolin-2-one und 4-Imino-imidazolidin-2-one als Iminkomponenten einsetzen. Zuerst möchte ich über die Chinazolin-2-one sprechen.

An 3-Position substituierte und an der Iminogruppe unsubstituierte Verbindungen wurden erstmals 1960 von Breukink und Verkade[4] als aus 2-Aminobenzonitril und Isocyanaten mit Methanolatkatalyse erhalten. An der 3-Position substituierte und der Iminogruppe carbamoylierte Derivate sind unseres Wissens bisher unbekannt.

 

Bild 3 Darstellung von 1488 -->1492 --->1495

 

Wir führten die Darstellung aus 2-Aminobenzonitril und entsprechenden Isocyanaten bei Raumtemperatur in Ether, den Ringschluss unter Katalyse mit Piperidin oder Kaliumtertiärbutanolat und die Umsetzung zum Zielprodukt erneut mit Isocyanaten durch. Ich möchte Sie bitten , die mit 1492 gekennzeichnete Verbindung in Erinnerung zu halten, da ich auf dieses im Folgenden näher eingehen möchte.

 

Bild 4 1492 in Deuteroaceton + Formel

 

Auf dem Dia sehen Sie einen Ausschnitt des Aromatenbereichs des 1H Spektrums der Verbindung, der mit einem vier-spin-System annähernd erster Ordnung und einem AA'BB' System die angegebene Struktur zu bestätigen scheint. Da die Löslichkeit der Verbindung in Aceton sehr schlecht war und wir auch 13Kohlenstoff-Spektren aufnehmen wollten, wurden diese in DMSO aufgenommen. Und damit begannen die Probleme. 

 

Bild 5 NMR 1492 (13C und 13C APT  15N DEPT) + Formel 

 

Zu unserer Überraschung zeigten sie nicht den kompletten Satz der erwarteten Signale [14] und diese werden z.T. noch breit detekiert. [bestenfalls 8 - 10]

Beachten Sie dabei bitte die Signale der quartären Kohlenstoffe im multiplizitätsselektierten Spektrum [APT] . Es ist zu vermuten, daß sich vorwiegend diese an möglichen Tautomeren beteiligen. Greift man dann in der Verzweifelung zum 15N-Spektrum ist die Verwirrung komplett. In dem mit Hilfe der DEPT Technik aufgenommenen Spektrum wären, methodebedingt, nach der Strukturformel je zwei Signale der beiden Wasserstoff tragenden Stickstoffe zu erwarten. Tatsächlich beobachtet man nur ein als [NH] Dublett auftretendes Signal.

Die erneut in DMSO aufgenommenen 1H-NMR Spektren unserer Substanzen zeigten eine zeitabhängige, reproduzierbare Veränderung der Spektren.

 

Bild 6  NMR 1492 (1H frisch, 5 Tage, H-H 2-D)  + Formel

 

Im Bild sehen Sie erneut den Ausschnitt der aromatischen Signale des 1H NMR Spektrums und zwar einmal der frisch gelösten Substanz und einmal nach fünf Tagen.

Sie zeigen die erwarteten, mit Sternchen gekennzeichneten, Signale für das vier-spin-System. Merkwürdig sind hingegen die mit Punkten gekennzeichneten Signale des 4-Chlorphenylringes. Anstelle eines einfachen AB-ähnlichen Systems sind verbreiterte Linien zu beobachten, die auf vier separate Wasserstoffe hinweisen. Diese verändern sich, in Abhängigkeit von der DMSO Qualität, [sprich dem Wassergehalt,] von einem vier-spin System bis zu einem verbreiterten zwei-spin System und weisen langsame Austauschreaktionen auf.

An dem gezeigten Ausschnitt aus dem 2-D Spektrum kann man letzte Zweifel, ob es sich nicht doch um ein AB - System handelt, beseitigen. Die Zuordnung der Kopplungssignale und die Größe der chemischen Verschiebung von ca. 7 Hz ergibt, daß es sich um ein System mit "gekreuzter" Kopplung handelt, wobei "gekreuzt" nur geometrisch gemeint ist.

 

Welche Erklärungsmöglichkeit sehen wir für unsere Beobachtungen ?

 

Bild 7 Dimroth - Umlagerung / Ergebnisse Taylor

 

In einer Arbeit von Taylor und Mitarbeiter[5] aus dem Jahre 1962 beschreiben die Autoren, daß sie aus 4-Imino-3-phenyl-tetrahydro-chinazolin-2-thion durch Dimroth - Umlagerung auch die an der 3- Position unsubstituierten N-substituierten 4-Amino-dihydro-chinazolin-2-thione erhalten hatten. Die Dimroth Umlagerung wird üblicherweise als basisch katalysierte, thermisch ausgelöste Ringöffnungs- und Recyclisierungsreaktion mit dazwischenliegender Isomerisierung und "Platzwechsel" zwischen Imino- und Aminofunktion beschrieben[6]. Eine analoge Umlagerung  des 4-Imino-3-phenyl-tetrahydro-chinazolin-2-on zu 4-Amino-dihydro-chinazolin-2-on gelang Taylor auch unter verschiedensten basischen Bedingungen nicht, sondern führte nur zu Hydrolyseprodukten. Wir hingegen glauben, dass die NMR Spektren unserer Substanz durch das im folgenden Dia dargestellte Cyclotautomerengleichgewicht zu erklären sein könnten.

 

Bild 8 Tautomerengleichgewicht

 

Dieses Tautomerengleichgewicht erklärt : 

 

1) die beobachteten mehreren breiten und labilen Wasserstoffsignale im 1H NMR,

 

2) die beobachteten vier bzw. zwei Signale durch Einbeziehung des 4-Chlorphenylsystems in den Austausch über E/Z Isomerie,

 

3) das Verhalten in den 13C Spektren durch die wechselnde Umgebung

 

4) das eine scharfe Stickstoffsignal in den 15N Spektren.

 

Wahrscheinlich handelt es sich um den in allen Formen als NH gezeichneten Stickstoff, und allen anderen gehen durch breite Koaleszenz im Grundrauschen unter. Das System erweist sich also nicht als statisch und eindeutig, sondern das entsprechende Dimrothprodukt ist zumindest im Gleichgewicht vorhanden. Die Veränderung der 1H Signale zum zwei-spin System im nach Lagerung aufgenommenen Spektrum läßt eher die Vermutung zu, daß das Dimrothprodukt den Endzustand darstellen könnte. Die mituntersuchte Verbindung von Taylor und Mitarbeiter (1513) zeigt prinzipiell gleiches Verhalten, wenn auch, durch das Fehlen der 4-Chlorsubstitution, nicht so gut erkennbar. Da die Bedingungen im NMR Röhrchen doch stark von den Bedingungen der Dimrothreaktion (Base, Temperatur) abweichen, ist es auch möglich, daß eine Wanderung des Chlorphenylrestes vorliegt. Diese Ergebnisse haben Konsequenzen für unser, gemäß den Angaben von Taylor, erwarteten Wunschprodukts.

 

Bild 9 Versch. Struktur von 1495 aus 1492

 

Es könnten, bei Reaktion als Dimroth - Produkt, auch die hier mit A und C bezeichneten Produkte möglich sein, deren spektroskopische Unterscheidung sehr schwierig ist, da sie nach Aussagen der NMR Fachleute im  1H und 13C Spektrum zu ähnlich sind. Derzeit können wir Struktur B wohl ausschließen. Im 15N Spektrum beobachten wir nur  ein Signal, daß aber wie in der Vorstufe bei 120 ppm liegt. Andere Signale treten leider nicht auf.  Wir sind dabei, das Problem weiter zu untersuchen. Wie eingangs erwähnt wollten wir als zweite Stoffklasse Imidazolidinone untersuchen.

 

Bild 10 Darstellung 1506 --->1508 --->1521

 

Nach gleicher Methode wie bei den Chinazolinonen konnten wir auch Ringschlußreaktionen mit N-Carbamoyl-"-amino-2-methyl-propionitrile zu 4-Imino-5,5-dimethyl-imidazolidin-2-onen durchführen. Auch bei dieser Stoffklasse sind an der 3-Position substituierte und der Iminogruppe carbamoylierte Derivate unseres Wissens bisher unbekannt, so daß wir die dargestellte Reaktionsfolge durchgeführt haben. Bei diesen "Fünfringanalogen" der Chinazolinone treten nach unseren bisherigen Untersuchungen analoge Probleme wie im "Sechsringsystem" auf, auf die ich hier jedoch nicht eingehen, sondern einen anderen Aspekt ansprechen möchte. Nur das 2,2-dimethylierte Nitril cyclisiert, es gelang uns bisher nicht, die Cyclisierungsreaktion auf analog gebaute Verbindungen anzuwenden.

 

Bild 11 Rechnerbild mit v.d. Waals-Radien

  

Da wir uns dieses Ergebnis so nicht erklären konnten, haben wir versucht das Problem theoretisch anzugehen und von den Strukturen an unserem Rechner, einem IBM 6150 mit dem Programm MAD,  Konformationsbetrachtungen durchgeführt. Dargestellt sehen Sie die Raumerfüllung der Moleküle mit Hilfe der van der Waals Radien. MAD verwendet zur Erstellung der Strukturen und zur Energieberechnung Kraftfeldrechnungen. Dabei werden Terme für die Kompression, Valenzwinkel, cross-term-streching, van der Waals - und Dipolwechselwirkungen berücksichtigt. Erfahrungswerte wie gut das Programm Konjugationen berücksichtigt, die bei vielen Programmen Schwierigkeiten machen, liegen uns noch nicht ausreichend vor. Da die Struktur schwer zu erkennen ist,   

 

Bild 12 Konformere, Farbdia vom Rechner

 

hier eine Darstellung ohne die van der Waals Radien und zwar mit für den Ringschluß geeigneten Atomabständen, in der jeweils energiegünstigsten Konformationen, sowohl der den Ringschluß ergebenden (rechts) als auch nicht ringschließende (links) Verbindungen. Oben drei Imidazolidinon-, unten, zum Vergleich zwei Chinazolinonvorstufen. In allen Fällen ergeben sich dabei zum Bindungsschluß geeignete Konformere. Betrachtet man aber die Rotationsenergiebariere um die entscheidende Bindung zwischen "-Kohlenstoff und Harnstoffstickstoff zeigt sich das folgende Bild.

 

Bild 13 Darstellung der Energiebarriere in Abh. vom Winkel

 

Dargestellt ist die Energiebarriere in Abhängigkeit vom Torsionswinkel. Im Falle der 2,2-Dimethylsubstitution ist das Nitril aufgrund der sterischen Hinderung durch die Dimethylstruktur in einer für die Reaktion günstigen Konformation (+/- 60 E) in einem "Energietal" praktisch fixiert. Das andere "Energietälchen" von ca. 20 kcal/Mol, ist für den Ringschuß zum Fünfring irrelevant, da hier die reagierenden Atome auf verschiedenen Seiten stehen und maximale Atomabstände aufweisen. Bei der unsubstituierten bzw. der monophenylsubstituierten Verbindung besteht dagegen keine solche "energetische Fixierung". Die Energieunterschiede sind hier nur ca. 4 kcal/Mol. Die durch gegenseitige Behinderung der Aromaten entstehende hohe Bariere am monophenyl System spielt keine Rolle, da der Aromat am "-Kohlenstoff eine nicht behinderte Drehung in Gegenrichtung ausführen kann.

 

Die beschriebenen energetischen Verhältnisse könnten eine Erklärung für die beobachtete Reaktivität sein.

 

Wir haben vor, der Problematik durch weitere rechnergestützte experimentelle Untersuchungen nachzugehen.

 

Damit bin ich am Ende meines Vortrages.

 

Abschließend möchte ich dem Leiter der NMR-Abteilung des Institutes für Anorganische und Angewandte Chemie unserer Universität, Herrn Dr. Haupt, dafür danken, daß er unsere Verbindungen so umfangreich untersucht hat[7] und Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Zur Diskussion :

1) Tieftemperaturuntersuchungen ?

Dieses Verhalten lässt sich auch durch Temperaturänderungen beeinflussen, doch leider findet man, aufgrund der schlechten Lösungseigenschaften der Substanz, kein geeignetes Lösungsmittel für Untersuchungen bei tieferen Temperaturen. Spektren auf Folie.

1a) Wiederspruch zu dem Ergebnis Taylor. Was fand Taylor ? Versch. Hydrolysen in sauren und basischen.

Damals selbstverständlich nicht die gleichen technischen Möglichkeiten wie heute bestanden.

2) Wie klärt man Struktur und Mechanismus ? Weitere Untersuchungen, wie z.B. eine der am Iminostickstoff 15N gelabelten Substanz, zu denen wir leider bisher nicht über entsprechendes Material verfügen, müssten hier zur Absicherung folgen.

3) Struktur des Wunschproduktes ? Untersuchungen der Struktur 1495 über Massenspektroskopie anzugehen, wurden begonnen. Spektrum auf Folie. Hinweis auf Dimroth-Produkt.

4) Struktur der Imidazolinone ? Wahrscheinlich auch Dimroth. Trennung in Arbeit. Spektren auf Folie.

5) Warum nicht andere Berechnungen ? Eine MNDO-Rechnung würde bei unserem Problem nicht weiterhelfen, da die Ergebnisse für Nitrile nach neuerer Literatur zu stark abweichen[8]. Zu anderen (aufwendigeren) Verfahren [ab initio) fehlen uns die Möglichkeiten.

6) Wie wirken die Substanzen ? Weil uns die die chemisch theoretischen Probleme der Strukturen doch mehr als erwartet beschäftigten, kann ich Ihnen hier leider noch nichts über die Wirkung der carbamoylierten Verbindungen berichten da wir sie, solange ihre Struktur nicht geklärt ist, noch nicht untersucht haben. Hätten wir uns auf die Literatur oder unser erstes 1H Spektrum in Aceton verlassen, hätte ich Ihnen wohlmöglich Wirkungen beschrieben, die einer völlig anderen Struktur zuzuschreiben sind.

 



[1]. H.G. Schweim und S. Jürgens, Arch. Pharm. (Weinheim) 320, 844 (1987).

[2]. L. Butula, Pharmazie, 33, 430 (1978).

[3]. H.G. Schweim, Die Pharmazie, 44, 319 (1989).

[4]. K.W. Breukink und P.E. Verkade, Recueil Trav. chim. Pays-Bas 79, 443 (1960).

[5] E.C. Taylor u. R.V. Ravindranathan, J.org.Chem. 27, 2622 (1962)

[6] D.J. Brown in Mech. of Mol. Migrations (Ed. B.S. Thyagarajan, Vol 1 (1968) 

[7]. Alle Spektren wurden mit einem BRUKKER AM 360 aufgenommen.

[8]. J.P. Steward, J.Comp.Aid.Mol.Design. 1, (1990)

 

 

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