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Isocyanat- und Acylisocyanatpräcursoren -- Versuche zur Nutzung toxischer Eigenschaften für erwünschte Wirkungen.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für die freundlichen Worte der Einführung.

Wir beschäftigen uns in meiner Arbeitsgruppe einerseits, noch relativ neu, in theoretischer Form am Computer und andererseits präparativ mit Harnstoffderivaten. Heute möchte ich ihnen aus dem präparativen Teil unserer Arbeiten berichten. Gestatten Sie mir zuerst eine Darstellung der Hintergründe, die uns zu unseren Untersuchungen veranlaßt haben.
Wie Ihnen bekannt, sind bis heute, je nach Definition, nur ca. 20 - 50 % aller Erkrankungen überhaupt durch Arzneimittel beeinflußbar. Selbst das Feld der im weitesten Sinne antibiotischen Stoffe, auf dem seit der ersten Desinfektion mit Phenol
(1)
enorme Fortschritte gemacht worden sind, muß weiterhin umfangreich bearbeitet werden. Sei es um Resistenzen zu bekämpfen, verträglichere oder spezifischere Substanzen zu erzielen, oder bisher nicht therapierbare Erkrankungen wirksam angehen zu können. Unabhängig vom vielschichtigen Gesamtschicksal eines Arzneistoffs in einem Organismus hat sich in vielen Fälle gezeigt, daß für die Wirkung die Ausbildung eines Pharmakon - Rezeptorkomplexes der entscheidende Schritt ist. Dies gilt auch für germicide Stoffe, bei denen es sich im Idealfall ja um Stoffe mit selektiver Toxizität für einen "Fremd"- Organismus handelt.

Dia [1]. [Wirkung der ß-Lactame]

Von den ß-Lactamen z.B. weiß man, daß sie in der Kaskade der Zellwandbiosynthese die Transpeptidase des letzten verknüpfenden Schritts der Peptidoglycan - Synthese durch Acylierung inaktivieren, vermutlich durch die Konformationsähnlichkeit des den ß-Lactamen zugrunde liegenden Dipeptids aus D-Cystein und D-Valin und dem eigentlichen Substrat der Transpeptidase, einem Peptid mit der Teilstruktur des D-Alanyl-D-alanin.

Dia [2]. [2 D-ALA-A u. SECO-PENI]

In der Struktursimulation am Computer ist das noch anschaulicher. Hier eine Darstellung der Moleküle mit ihren v.d. Waalsradien in üblicher Farbkodierung. Wege zur Auffindung bioaktiver Moleküle gibt es in vielfacher Weise. Ich möchte mich hier auf den Ansatz beschränken, bekannte chemische Reaktivität für biologische Wirkungen zu nutzen.Bei der Entwicklung synthetischer Germicide zeigt sich, daß chemisch hoch reaktive Strukturen wegen unspezifischer Wirkungen oft nicht einsetzbar sind.

Dia [3]. [Transportform 1.ter u.2.ter Art]

Ein Weg z.B. toxische Effekte zu umgehen ist, den Wirkstoff in eine untoxische "Transportform" einzubauen, aus der er erst am Zielort in seine "Wirkform" überführt wird. Arzneistoffe dieses Typs werden nach Kreutzkamp (2) "Transportformen 1.ter Art" genannt. In einigen Fällen kann es jedoch durch unspezifische Freisetzung zu unerwünschten Reaktionen kommen, wenn ubiquitäre chemische oder biologische Vorgänge (3) die Wirkform freisetzen. Diese Gefahr kann durch Einsatz einer, nach Kreutzkamp als "Transportform 2.ter Art" zu bezeichnenden Weiterentwicklung, die den Wirkteil, ohne das dieser frei auftritt, direkt aus dem intakten Molekül auf den Rezeptor überträgt, vermieden werden.

"Transportformen 1.ter Art" sind in der Natur und bei synthetischen Arzneistoffen schon lange bekannt. So stellen die in verschiedenen Pflanzenarten vorkommenden Glucosinolate Lager- und Transportform für die mit breitem germicidem Wirkungsspektrum versehenen Isothiocyanate dar, die aus ihnen durch biochemische Prozesse hervorgehen. Ein gut untersuchtes Beispiel für eine synthetische "Transportform" stellt das Krebschemotherapeuticum Cyclophosphamidi dar.

Dia [4]. [Endoxan]

Die Verbindung ist bei in vitro Tests nahezu unwirksam und wird erst im Organismus in die Wirkform umgewandelt. In der Leber erfolgt Hydroxylierung zu 4-Hydroxy-cyclophosphamid (I), welches mit Aldophosphamid (II) im Gleichgewicht steht. Erst im Gewebe entsteht nicht-enzymatisch unter Abspaltung von Acrolein (III), die stärkste alkylierende Verbindung dieser Kaskade das N,N-Bis-(2-chlorethyl)-phosphorsäurediamid (4) (IV) neben anderen Metaboliten (5).

Die wohl älteste und obwohl eigentlich obsolet, noch angewendete synthetische Substanz, die eine "Transportform" darstellt, ist das Hexamethylentetramin (Urotropini). Es wird zur Behandlung von Harnwegsinfektionen eingesetzt da es im sauren Urin Formaldehyd abspaltet, der in den Harnwegsorganen desinfizierend wirkt. Als bedenklich ist jedoch die Möglichkeit der unspezifischen Form-aldehydfreisetzung in anderen Geweben einzustufen. Dieser Gefahr kann man durch den Einsatz einer Weiterentwicklung nach dem Prinzip "Transportformen 2.ter Art" begegnen. Einen an das Urotropini in diesem Sinne anknüpfenden Fortschritt stellt der in neuerer Zeit (6) entwickelte Arzneistoff Taurolidini (TaurolinR) dar.

Dia [5]. [Taurolidin]

Als Wirkmechanismus konnte eine Reaktion der von Plasmaenzymen freigesetzten aminalischen Kohlenstoffe mit freien bakteriellen Aminogruppen durch Vernetzung über Methylenbrücken bewiesen werden. Durch 14C-Markierung wurde gezeigt, daß nur die mit Pfeilen gekennzeichneten Atome reagieren.Die anfangs vermutete Reaktion über freies Formaldehyd konnte durch gaschromatographische Messungen mit Sicherheit ausgeschlossen werden (7), die gemessen Konzentrationen waren kleiner als 0.004%. Anknüpfend an die referierten Erkenntnisse habe ich für meine Untersuchungen die Isocyanate gewählt und möchte die Gründe dafür erläutern.

1. Isocyanate können mit nucleophilen Gruppen in biologisch wichtigen Molekülen stabile Addukte bilden. Damit sind
     häufig pharmakologische Effekte, oft toxischer Art
(8)
, verbunden. Daher können diese Verbindungen nicht direkt therapeutisch
     genutzt werden.

2. Isocyanate sind potentiell als germicide Stoffe geeignet, wenn es gelingt, ihre toxischen Effekte selektiver und
     moderater zu gestalten.
So hatten sich bei Pharmaka auf der Basis von Senfölbildnern gerade die in vitro hoch wirksamen
     Stoffe in vivo als unbrauchbar erwiesen da sie zu leicht zu Senfölen zerfallen und damit in der Anwendung die gleichen
     Probleme
(9) wie jene aufweisen (10)
.

3. Es gibt Hinweise auf den Mechanismus (11) der Wirkungen von Isocyanaten. Zielmoleküle sind in diesen Fällen
     Amino- und Amidogruppen von Proteinen. Damit existiert auch ein Angriffspunkt, der für erwünschte
     pharmakologische Wirkungen denkbar ist.

4. Man kennt ferner eine größere Zahl sehr unterschiedlich konstruierter Verbindungen, die als Isocyanatpräkursoren
    nutzbar sind.

    Einige von ihnen, unter Ausklammerung cyclischer Derivate, sind im folgenden Bild zusammengestellt
(12).

Dia [6]. [Verschiedene Isocyanatspalter]

Diese und andere "verkappte Isocyanate", besonders aus der Reihe der Diisocyanate, werden für Polymerisationsreaktionen großtechnisch genutzt, da ihr Zerfall thermisch auslösbar ist.
Die Nutzung derartiger Abspaltungseigenschaften für pharmakologische Zwecke war hingegen meines Wissens bisher noch nicht untersucht worden.

Als Untersuchungsobjekt auf ihre Eignung als Transportform erschienen mir die N-substituierten, N'-acylierten Harnstoffe besonders geeignet. Für sie spricht, daß die Harnstoffpartialstruktur in einer großen Zahl von bekannten Arzneistoffen enthalten ist. Es scheint daß Harnstoffe, möglicherweise wegen ihrer Verwandtschaft mit natürlich auftretenden Verbindungen, zu den "biologisch tolerierbaren" Strukturen gehört.

In gängigen Lehrbücher und in zusammenfassenden Artikeln (13) werden Harnstoffderivate mit anaesthetischer, pesticider, antidiabetischer, antidepressiver, antituberkulöser, hypoglykämischer, antikonvulsiver, antineoplastischer und hypnotischer Wirkung sowie als Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel beschrieben. Es sprengte diesen Vortrag, alle Anwendungen mit Strukturbeispielen zu belegen. Als Beispiel aus den nicht-pharmazeutischen Anwendungen möchte ich daher nur zwei Insektizide erwähnen.

Dia [7]. [Diflubenzuron,Trifluron]

Sie erscheinen mir aufgrund ihres Wirkmechanismus, für den ein Eingriff in die Chitinbiosynthese der Insekten bewiesen (14) wurde, besonders bemerkenswert. Es handelt sich jedoch nicht um eine Stoffklasseneigenschaft. Vielmehr wurden beide in einer großen Zahl ähnlicher, nur in der Stellung der Substituenten an den Ringen unterschiedenen Verbindungen, gefunden (15), (16). Eindrucksvoll, aber aufgrund des Wirkmechanismus leicht erklärbar, ist ihre außerordentlich geringe Toxizität für Warmblüter. So beträgt die LD50 an der Ratte >10 g/kg. Zum Vergleich : Für das relativ gering akut-toxische DDT ist die LD50 200 mg/kg.

Dia [8]. [Arzneistoffbeispiele]

Mit diesen, zum Teil in Heterocyclen eingebundenen Harnstoffstrukturen, möchte ich Ihnen nur zeigen, wie vielfältig alleine die Anwendungen als Chemotherapeutica sind. Hierbei bitte ich besonders das Krebsmittel Carmustini zu beachten.

Dia [9]. [Comp.Darst.Carmustin]

Das Dia zeigt den Arzneistoff, der in meinen Ausgangsüberlegungen eine zentrale Rolle spielte, in der Computersimulation eines von uns in der Lehre genutzten Programmes (17).

Dia [10]. [Carmustin Wirkmech.]

Hier sehen Sie die in der Literatur vermutete Erklärung der Wirkung. Dabei wird stets auf das "alkylierende Carbeniumion" abgehoben, das mitentstehende Isocyanat wird nicht besonders behandelt (18). Weitgehend unbeachtet scheint dabei eine Veröffentlichung von Kann, Kohn und Lyles in "Cancer Research" von 1975 geblieben zu sein, die schreiben:

"The isocyanat seems to be important, since other N-nitroso-urea-compounds have little or no activity".

Ziel unserer Untersuchungen ist daher, Substanzen mit Harnstoffpartialstrukur zu finden, die im Sinne einer Transportform 2.ter Art als Isocyanatpräcursoren fungieren können und diese auf zellteilungsbiologische Aktivität zu prüfen.

Zu unseren eigenen Untersuchungen
Die ersten von uns eingehend untersuchten Verbindungen, die N-substituierten, N'-acylierten Harnstoffen, sind als Stoffklasse schon seit über 100 Jahren bekannt
(19).

Ihre Darstellung erfolgte durch Zusammenschmelzen der Ausgangsstoffe, Erhitzen von Amiden in flüssigen Isocyanaten oder Umsetzung beider Komponenten in hochsiedenden Lösungsmitteln. Weitere Zugangswege bieten die Umsetzung von Acylisocyanaten mit Aminen, die Acylierung von Harnstoffen sowie ein modifizierter Hofmann-Abbau.

Dia [11]. [Darstellungswege]

Wir nutzen, in etwas abgewandelter Form, als Hauptzugangsweg die Umsetzung von Säureamiden mit Isocyanaten in trockenem Dioxan unter Rückfluß, meist mit befriedigenden bis guten Ausbeuten. Daneben wurde in einigen Fällen die Umsetzung von Acylisocyanaten mit Aminen oder aminanalogen Verbindungen in Ether bei Raumtemperatur verwendet. Nach beiden Methoden ist eine erwünschte breite Variation der Reaktionspartner möglich.

Dia [12]. [Erste Spaltungen]

Schon bei ersten Spaltungsversuchen mit Aminen als Modellnucleophilen zeigte sich, daß die beiden prinzipiell denkbaren Spaltungswege zu Isocyanaten und Acylisocyanaten zur Beschreibung des wesentlich komplexeren Spaltungsverhaltens nicht ausreichten. Während im Falle der Piperidinolyse der Verbindung X = H sowohl Produkte eines Isocyanat- als auch Acylisocyanat- Zerfallsweges beobachtet werden konnten, wurde im Falle der Verbindung X = Cl nur ein analoges Acylisocyanatprodukt gefunden. Da die Umsetzungen unter sonst gleichen Bedingungen durchgeführt wurden und die Aufarbeitung "low - bar"- säulenchromato-graphisch mit Wiederfindungsraten der eingesetzten Substanzmengen größer 80 - 90 % erfolgte, konnte der Zerfallsweg nur von den Substituenten am Aromaten abhängig sein. Um die Substituenteneinflüsse abzuklären, wurden über 50 verschieden substituierter Verbindungen unter Berücksichtigung der Taft- und Hammett- Parameter hergestellt. Das Zeigen entsprechender langer Tabellen möchte ich Ihnen jedoch hier und auch im Folgenden ersparen. Diese wurden dann in Spaltungsuntersuchungen in ihrem Verhalten gegen verschiedene Nucleophile getestet. Um die Zahl der sich ändernden Parameter nicht zu groß zu gestalten, wurden dazu "Standardbedingungen" bezüglich Lösungsmittel, Temperatur, Aufarbeitung usw. definiert und angewendet. Zusätzlich wurden Parallelversuche ohne Nucleophil angesetzt, um einen thermischen Zerfall ausschließen zu können. Es gelang uns dazu ein Verfahren zur situ-IR-Spektroskopie zu entwickeln mit dem die Spaltung während der Reaktion verfolgt werden konnten. Nach Aufnahme eines Bezugsspektrums wurden Testlösung und Lösungsmittelvergleich direkt aus dem Ansatz durch ein Beckman MikrolabR 600 IR-Gerät gepumpt (20) und im überlagerten Verfahren alle 5 bzw. 10 min ein Differenzspektrum aufgezeichnet. Um Rückreaktionen zu erkennen wurde das Erhitzen abgebrochen und bis zum Erkalten weiter registriert. Bei Ansätzen ohne Nucleophil konnte so durch das Fehlen einer entsprechenden Banden im IR Spektrum ein Zerfall durch thermische Dissoziation in freies Isocyanat und Amid und Erklärung des Spaltungsverhaltens durch Reaktion des ersteren mit den zugesetzten Aminen ausgeschlossen werden.

Dia [13]. [Spektrum 60 fach]

Im Dia dargestellt ist eine 60 fach wiederholte Registrierung des Spektrums im 5 min Abstand. Es zeigt, daß die Verbindung über den gesamten Meßzeitraum stabil ist. Auf weitere Einzelheiten werde ich an einem späteren Beispiel eingehen. Als in vitro Modellsubstanzen für die in reaktiven Zentren von Enzymen häufig anzutreffenden SH- bzw. NH- Funktionen wurden Thiophenol und Benzylmercaptan sowie verschiedene Amine verwendet. Die Selektivität der Spaltung war erfreulich. Reaktionen mit OH-und SH- Nucleophilen sowie CH- aciden Substanzen trat nicht ein. Da die toxischen Effekte von Isocyanaten, wie erwähnt, wesentlich auf die Reaktion mit Aminogruppen von Biomolekülen zurückzuführen sind, ist hier eine wichtige Eigenschaft der "Wirkform" in der potentiellen "Transportform" erhalten geblieben. Um den Einfluß der Basizität der eingesetzten Amine abzuklären wurden Imidazol, Anilin, Benzylamin, Cyclohexylamin, Piperidin und Morpholin erprobt. Während sich die Substanzen gegen Anilin und Imidazol inert verhielten, gab es Unterschiede zwischen den primären Aminen auf der einen und den sekundären Aminen auf der anderen Seite. Innerhalb der Gruppen gab es keine Unterschiede, so daß die Untersuchungen auf Benzylamin als primäres und Piperidin als sekundäres Amin beschränkt werden konnten.

Dia [14]. [Hauptspaltwege]

Neben den erwähnten Hauptreaktionswegen A und B können eine Reihe von "Nebenwegen" auftreten. Nebenwege bedeutet hierbei nicht Nebenprodukte, die zu beschreibenden Produkte sind Haupt- oder einziges Reaktionsprodukt. Als Ausweichreaktionen (Weg e) treten bei geeignet konstruierten Verbindungen Substitutionen (21) oder
Additionen
(22) im Rest R1 auf. Im Falle entsprechender aliphatischer Reste R2 ist dies die einzige zu beobachtende Reaktion. Bei ausreichender NH-Acidität werden auch Salzbildungen (Weg d) mit den zur Spaltung gedachten Aminen beobachtet. Wenn es sich beim Acylrest um einen Formylrest handelt, wird nur eine Abspaltung (Weg a) oder Übertragung (Weg b) des Acylrestes auf das Amin beobachtet. Eine ungewöhnliche Ausweichreaktion (Weg c), die zwar in einem zu beschreibenden Einzelfall beliebig wiederholbar ist, von der es uns jedoch nicht gelang, sie auf andere Beispiele zu übertragen, zeigt das nachfolgende Schema :

Dia [15]. [Halogenverschiebung]

Neben dem in rd. 44% Ausbeute zu isolierenden N-4-Chlorphenyl-N'-chloracetylharnstoff fanden wir bei der Piperidinolyse nur etwas Piperidinhydrochlorid. Mit Benzylamin isolierten wir dagegen neben abgespaltenem Anilin das erwartete Acylisocyanatspaltprodukt. Mit anderen Aminen (23) ergaben sich entweder die Acylisocyanatspaltprodukte oder einfach Zersetzungen. Die beobachtete Halogenverschiebungsreaktion tritt dagegen bei Monochlor, Trichlor, Dibrom oder analogen Verbindungen mit Blockierungen an N bzw. N' nicht ein. Während die Dibromverbindungen nur undefinierte Zersetzungsprodukte ergeben zeigten die anderen Verbindung normales Spaltungsverhalten. Für Halogenverschiebungsreaktionen unter elektrophilen oder radikalischen Bedingungen gibt es einige Literaturbeispiele, dagegen sind mir zu unserer Beobachtung vergleichbare Reaktionen nicht bekannt.

Dia [16]. [Bek. Halogenversch.reaktionen]

So sind z.B. mit der "Orton-Umlagerung" Verschiebungen aus einer aliphatischen Seitenkette an den Aromaten gefunden worden, jedoch werden hier N-Chloracetanilidderivate in Gegenwart von Halogenwasserstoff in aprotischen Lösungsmitteln verwendet. Versuche zum analytischen Nachweis positiv abspaltbaren Halogens schlugen fehl. Auch scheint mir eine elektrophiler Angriff am Aromaten in Gegenwart von Base wenig plausibel. Vieleicht ist eine von Siefken (24) bearbeitete Reaktion einen Hinweis zum Mechanismus. Setzt man Isocyanate mit Halogen in Chloroform um, tritt eine Substitution am Aromaten ein. Nimmt man in unserem Falle eine analoges Verhalten an und denkt sich die Dichloracetylfunktion nur als Halogenlieferanten, wäre ein begrenzter Vergleich möglich. Versuche, eine Beteiligung des Piperidins zu klären, indem N-Phenyl-N'-chloracetylharnstoff mit Piperidinhydrochlorid oder -hydrobromid in siedendem Dioxan behandelt wurde, ergaben die unveränderten Edukte. Eine chemisch befriedigende Erklärung für das Verhalten der Verbindung steht daher noch aus, die weitere Bearbeitung dieser Beobachtungen steht jedoch in unserem Pflichtenheft.

Doch zurück zu den Hauptreaktionswegen und ihren Bedingungen.

Dia [17]. [Grafik 1 Spaltungen]

Die Grafik zeigt einen Überblick über das Spaltungsverhalten und die Ausbeute an einigen Beispielen in Abhängigkeit vom Elektronenzug der Substituenten. Die X-Achse ist nach steigendem Zug geordnet und mit Versuchsnummern beschriftet. Sie sollten bitte nur das Auftreten von sowohl Isocyanat als auch Acylisocyanatprodukten beim N-Phenyl-N'-benzoyl-harnstoff Verb. 1023 zur Kenntnis nehmen. Um das beobachtete vielfältige Spaltungsverhalten einheitlicher zu gestalten, wollten wir durch Blockierung an N'- bzw. N- jeweils eine der denkbaren Spaltungsmöglichkeiten verhindern.

Dia [18]. [Blockierungsversuche]

Bei Verbindungen des Typs I sollten Acylisocyanate und bei Verbindungen des Typs II Isocyanate durch die Blockierung nicht auftreten können. Zur Darstellung sind mehrere Zugangswege theoretisch vorstellbar. So sollten Derivate des Typs I formal aus N-substituierten Carboxamiden und Isocyanaten zugänglich sein. Während sich jedoch N-unsubstituierte Carboxamide problemlos mit Isocyanaten umsetzen, versagt die Reaktion mit den meisten N-substituierten Amiden ausser den Lactamen. Eine Erklärung für dieses Verhalten soll nach Literaturangaben (25) in der "zu geringen Basizität" der Amide zu suchen sein. Es gelang uns in dieser Reihe erstmals sowohl N-Methyl- als auch N-Phenyl-formamide mit Isocyanaten umzusetzen. Dies erinnert an Befunde von Möhrle und Spillmann (26) zur Darstellung von N-Mannichbasen. Dort lassen sich gleichfalls N-substituierte Formamide, im Gegensatz zu anderen sekundären Amiden, einsetzen.

In den Spaltungsuntersuchungen zeigte sich ein nach dem Substituent R am Stickstoff des Formylrestes differenziertes Bild.

Dia [19]. [Spaltg. der sek. Formamide]

Nur Derivate des Formanilids ergaben über Isocyanatspaltung erklärbare Produkte, Derivate des N-Methylformamids erwiesen sich, wie die N-unsubstituierten Derivate, als Transformylierungsreagentien. Die IR-spektroskopische Kontrolle der Spaltungsansätze ohne Amin ergab für die Formanilidderivate das Auftreten eines Isocyanatpeaks, so daß ein thermisch induzierter Zerfall nicht auszuschließen war. Bei der Untersuchung von Lactam-Isocyanataddukte erwies sich die Spaltung von der Ringgröße des Lactamringes abhängig, wie die folgende Grafik zeigt.

Dia [20]. [Grafik 2 Sp.Prod. Lactame]

Kleinringige Lactamderivate [< 5 Kohlenstoffe] (X-Achse nach Ringgröße geordnet) waren stabil, größere ergaben die erwünschten Spaltprodukte. Die Ausbeuten an Spaltprodukt korrelierten mit der Ringgröße und dem Einfluß des Substituenten R, hier am Beispiel 4-Cl-Phenyl und Phenyl gezeigt. Die IR-spektroskopischen Untersuchungen der Produkte ohne Nucleophilzusatz waren enttäuschend, da die Spektren den Isocyanaten zuzuordnende Banden aufwiesen.

Dia [21]. [Spektren 2 Iso bei Lactam] 

Spektrum 2a zeigt den Ausgangszustand. Spektrum 2b ein unter gleichen Bedingungen aufgenommenes Spektrum von Phenylisocyanat. Spektrum 2c zeigt das durch wiederholte Registrierung während des Erhitzens gewonnene Spektrum mit dem anwachsenden Isocyanatpeak. Spektrum 2d zeigt den auch nach Beenden des Erhitzens anhaltenden Endzustand.

Diese Verbindungsklassen waren daher für den angestrebten Untersuchungszweck ungeeignet. 

Dia [22]. [Blockierungstypen II, III u. IV]

Bitte betrachten Sie zuerst den oberen Teil des Dias.

Am arylsubstituierten Stickstoff blockierte Verbindungen des Typ II waren durch Umsetzung von Acylisocyanaten mit sekundären Aminen erhältlich. Leider zersetzten sich die meisten Produkte schon nach kurzer Zeit unter blauer Verfärbung (27), (28). Derivate, mit für die Untersuchungen ausreichender Stabilität ergaben ausschließlich Produkte, des Acylisocyanatwegs.
Als weitere Möglichkeit zur Herstellung blockierter Derivate sollten Substanzen mit den im unterem Teil des Dias abgebildeten Baumustern untersucht werden. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen waren vom Typ III Isocyanat, vom Typ IV Acylisocyanat-präkursoreigenschaften zu erwarten. Die Verbindungen des Typs III haben wir durch Umsetzung von Ketiminen
(29) mit Isocyanaten hergestellt.

Dia [23]. [Russen/Wir - Ketimin/Iso]

Aus dieser Stoffklasse waren meines Wissens bisher nur einige Diphenylmethylenharnstoffe hergestellt und von einer russischen Arbeitsgruppe (30) in Aminolyseuntersuchungen getestet worden. Als Ergebnis wurden Additionen an die Doppelbindung beschrieben. Wir haben diese Untersuchungen aufgegriffen und sowohl nach der Originalvorschrift (31), als auch mit unseren "Standardbedingungen" bei der Aminolyse nur Produkte eines Isocyanatweges in Ausbeuten von 80 - 100 % und kein Additionsprodukt gefunden. Die säulenchromatographisch bestimmten Substanzwiederfindungsraten waren dabei größer als 80 - 90 %. Ein unterschiedliches Spaltungsverhalten durch den Wechsel von primärem zu sekundärem Amin war nicht zu beobachten.

Ohne Aminzusatz und gegen andere Nucleophile waren die Substanzen stabil. 

Dia [24]. [Typ IV Ketimin-Acyliso]

N-Acyl-N'-alkylidenharnstoffe sind meines Wissens bisher noch nicht beschrieben worden. Wir konnten sie unter milden Bedingungen bei -15 oC in absolutem Tetrahydrofuran aus Ketiminen und Acylisocyanaten erhalten. In den Spaltungsuntersuchungen erwiesen sie sich in Abwesenheit von Nucleophilen, auch bei in-situ-IR-Untersuchungen, als stabil.
Mit Aminen gaben sie, wie erwartet, in Ausbeuten über 80 - 99 % die Produkte eines Acylisocyanatweges.

Eine Besonderheit stellen in diesen Reihen Addukte zwischen Acylisocyanaten und Isopropylphenylketimin dar.

Dia [25]. [Spektrum 3 Acylimin-Eniso]

Nach neueren Untersuchungen (32) liegt Isopropylphenylketimin in der Iminoform und nicht in einer denkbaren Enaminostruktur vor. Die Additionsprodukte mit Acylisocyanaten lagern sich nach 1H-NMR- Untersuchungen, das Auftreten der beiden isolierten Methylsignale beweist das Vorliegen der Verbindung in der Enaminoform, jedoch vollständig in diese um, wie es für derartige tautomeriefähige Systeme zu erwarten ist.

Dia [26]. [Spaltung Acyliso-Ketimin]

In den Spaltungsuntersuchungen ergaben sie hingegen ausschließlich Produkte des Acylisocyanatweges, was eine Reaktion aus den Alkylidenharnstoff-Tautomeren gemäß dem gezeigten Schema nahelegt. Es wird zusätzlich dadurch gestützt, daß Produkte einer denkbaren En-Isocyanatspaltung nicht beobachtet wurden. Damit unterscheiden sich diese Verbindungen erheblich von anderen bekannten Derivaten mit formal vergleichbaren C=N-Doppelbindungssystemen.

Dia [27]. [Imidate u. Isocyanate]

Wegen der als nachteilig empfundenen notwendigen Beschränkung auf Ketimine (33) wurden dann Umsetzungsprodukte von Imidaten, auch Imidoester genannt, und Isocyanaten hergestellt und untersucht.

Im Gegensatz zur sonst breiten Bearbeitung der Imidate sind Umsetzungen mit Iso- und Acylisocyanaten meines Wissens bisher noch nicht vorgenommen worden (34).
Imidate sind durch die bekannte "Pinner-Reaktion"
(35) als Hydrochloride meist gut erhältlich, die freien Basen hingegen sind nur kurzzeitig stabil. Wir stellten erstere daher nach einem literaturüblichen Verfahren (36) her und setzten sie als Basen sofort nach der Freisetzung ohne Isolierung um. Die Reaktion in Tetrahydrofuran bei -15oC verläuft erstaunlich glatt, wobei die Ausbeuten größer 40% bis 90% waren. Als Isocyanatkomponente waren nur Arylisocyanate einsetzbar. Wenn R1 und/oder R3 aliphatisch sind, werden ausschließlich die aus der Reaktion der entsprechenden Isocyanate mit sich selbst erklärbaren symetrischen Harnstoffe isoliert.
Der notwendige Strukturbeweis für den Erhalt der Imidoesterpartialstruktur in den Umsetzungsprodukten, um das Eintreten einer Chapman-Umlagerung
(37), (38) auszuschließen, läßt sich leicht durch das 13C-NMR am folgenden Beispiel führen.

Dia [28]. [Spektrum 8 13C-Methoxy]

Der Peak für das O-CH3 Signal 3 liegt bei etwa 55 ppm, in guter Übereinstimmung mit der Literatur, die für Methyl als -Substituenten am Sauerstoff 50 - 60 ppm angibt. Ein entsprechender Peak für N-CH3 wird mit maximal 48 ppm, meist um 35 ppm angegeben. In den anschließenden Spaltungsuntersuchungen erwiesen sich die Verbindungen in Abwesenheit von Nucleophilen, auch im "in-situ"- Verfahren wie erhofft als stabil, mit Aminen ergaben sie in guten Ausbeuten die Produkte eines Isocyanatweges.

Dia [29]. [Imidate u. Acylisocyanaten]

Umsetzungsversuche zwischen Imidaten und Acylisocyanate führten anfangs nicht zu den gewünschten Produkten sondern zu den entsprechenden N,N'-bisacylierten Harnstoffen. Ihre Bildung ist analog zu den Isocyanaten als Reaktion der Acylisocyanate mit sich selbst erklärbar. Erfolgreich waren erst Umsetzungen bei Temperaturen von
-70 oC. Die entstandenen Produkte erwiesen sich jedoch als thermolabil. So war es z.T. nicht möglich sie umzukristallisieren. Dagegen waren sie gegen protische Lösungsmittel wie Ethanol oder Wasser erstaunlich stabil. Einige konnten sogar durch Waschen mit Wasser gereinigt werden. In den Spaltungsuntersuchungen ergaben sie erwartungsgemäß Produkte eines Acylisocyanatweges. Wegen ihrer thermischen Empfindlichkeit wurde auf eingehendere Untersuchungen verzichtet.

Im folgenden möchte ich über unsere Bemühungen die biologischeWirkung der hergestellten Substanzen zu ermitteln, berichten.

Da, wie eingangs beschrieben, einige acylierte Harnstoffderivate des auch von uns bearbeitenten Baumusters insektizid wirksam sind, wollten wir einige unserer Substanzen in gleicher Richtung testen. Weil wir aus technischen Gründen keine Insekten züchten konnten,

Dia [30], [Wasserfloh]

suchten wir nach einem alternativen Testmodell und glauben es mit dem Wasserfloh (39) gefunden zu haben, da die Schale dieses Krustentieres (40) aus Chitin mit Kalkeinlagerungen besteht. Die Empfindlichkeit von Daphnia gegen klassische Insektizide vom Typ des DDT oder HCCH hatte zum Einsatz dieser Tiere als Testorganismen für die Wasserqualität nach ISO - Norm geführt, die uns als Vorlage für unser Testmodell diente. Durch Haltung von weniger als 200 Tiere je Anzuchtgefäß (41) vermehrt sich Daphnia durch Parthenogenese. Dies sorgt für einheitliches Tiermaterial. Je Testkonzentration werden 20 junge Daphnien verwendet, ebenso als Vergleich. Die Gewinnung der Testtiere, älter als 6 und jünger als 24 Stunden, kann einfach durch "Siebanalyse (42)" erfolgen. Die Testreagenzgläser werden 24 h bei 20 +/-2 oC in einem thermostatisierten Wasserbad im Dunkeln belassen. Neben der im Wassertestverfahren vorgesehenen Standardisierung mit Kaliumdichromat verwendeten wir als Standardinsektizid DDT ( LC (43)100 = 0.001 mg/l).
Da unsere Substanzen meist schwer wasserlöslich waren, konnten wir nicht in allen Fällen LC100 bestimmen und mußten auf gesättigte Lösungen ausweichen. Daher werden in der Grafik,

Dia [31], [Grafik 8 Wasserflohtod]

zur besseren Vergleichbarkeit Konzentrationsangaben in % den % -Angaben toter Daphnien gegenübergestellt.

An der x-Achse sind Verbindungsnummern angegeben. Die durch die gelbe Linie verbundenen Kästchen geben die Konzentrationen, in mg % * 100 an. Die violett verbundenen Punkte die entsprechenden % Angaben an toten Daphnien. Sie sehen, besonders im rechten Teil der Grafik, in geringer Konzentration gut wirksame Substanzen.
Als Ergebnis ist festhalten, daß in dieser Versuchsanordnung unsere Substanzen zwar recht gut wirken, aber keine das DDT, das in dieser Auftragung nicht darstellbar bei 0.1 liegen würde, erreicht.

Als einfachen Test, auf zellteilungsbiologische Aktivität unserer Verbindungen verwendeten wir eine modifizierte Form des "Kresse-Wurzel-Tests" nach Butula (44). Zur Durchführung läßt man 20 - 30 Samen der Gartenkresse (45) in destilliertem Wasser auf Filtrierpapier keimen. In der Originalvorschrift nicht erwähnt, aber besonders bemerkenswert erscheint mir, daß man unbehandelte Samen verwendet, die schwer zu bekommen sind. Nach 48 h Kultur bei 20 +/-1 oC wurde das Wasser gegen die Prüflösung ausgetauscht. Als Testkonzentration wurde 1 mg/ml verwendet. Nach weiteren 24 h bestimmten wir von der Hälfte der Samen, nach weiteren 22 h von der anderen Hälfte die Entwicklung der Wurzelhaare, indem wir sie unter einem Stereomikroskop betrachteten, photographierten und vermaßen und mit in Wasser gezogenen Samen verglichen.

Dia [32]. [Photos Kressetest]

Abgebildet sind Ergebnisse der Testung der Isocyanat - Imidat - Addukte. In der Mitte ist die Entwicklung der Wurzelhaare der Vergleichspflanze, umgeben von verschiedenen Testansätzen zu sehen. Wie sie sehen sind in diesen Fällen die Wurzelhaare nur noch rudimentär entwickelt. Abschließend möchte ich auf eins der uns derzeit beschäftigenden Problemen eingehen. Im vorbeschriebenen Test hatten sich die Umsetzungsprodukte zwischen Ketiminen oder Imidaten und Isocyanaten als bisher wirksamste Verbindungsklassen (46) erwiesen.
Da beiden Stoffklassen die C=N - Doppelbindung am abzuspaltenden Molekülteil gemeinsam ist, suchen wir nach weiteren entsprechenden Strukturen als Iminkomponenten. Von den z.Zt. von uns bearbeiteten Verbindungsklassen möchte ich hier die 4-Imino-tetrahydro-chinazolin-2-one erwähnen.

Dia [33]. [Darstellung Chinazolinone]

An 3-Position substituierte und an der Iminogruppe unsubstituierte Verbindungen wurden erstmals 1960 von Breukink und Verkade (47) erhalten. An der 3-Position substituierte und der Iminogruppe carbamoylierte Derivate sind unseres Wissens bisher unbekannt. Wir führten die Darstellung aus 2-Aminobenzonitril und entsprechenden Isocyanaten bei Raumtemperatur in Ether, den Ringschluß unter Katalyse mit Piperidin oder Kaliumtertiär-butanolat in Dioxan und die Umsetzung zum Zielprodukt erneut mit Isocyanaten durch. Auf die mit 1492 gekennzeichnete Schlüsselverbindung möchte ich im Folgenden näher eingehen.

Dia [34]. [1492 in Deuteroaceton + Formel]

Auf dem Dia sehen Sie einen Ausschnitt des Aromatenbereichs des 1H Spektrums der Verbindung in Deuteroaceton, der mit einem vier-spin-System annähernd erster Ordnung und einem AA'BB' System die angegebene Struktur zu bestätigen scheint. Da die Löslichkeit der Verbindung in Aceton sehr schlecht war und wir auch 13Kohlenstoff-Spektren aufnehmen wollten, wurden diese in DMSO aufgenommen. Und damit begannen die Probleme.

Dia [35]. [NMR 1492 (13C und 13C APT 15N DEPT)]

Zu unserer Überraschung zeigten sie nicht den kompletten Satz der erwarteten Signale und diese werden z.T. noch breit detekiert. [bestenfalls 8 - 10] Beachten Sie dabei bitte die Signale der quartären Kohlenstoffe im multiplizitätsselektierten Spektrum [APT]. Es ist zu vermuten, daß sich vorwiegend diese an möglichen Tautomeren beteiligen. Greift man dann in der Verzweifelung zum 15N-Spektrum ist die Verwirrung komplett. In dem mit Hilfe der DEPT Technik aufgenommenen Spektrum wären, methodebedingt, nach der Strukturformel je zwei Signale der beiden Wasserstoff tragenden Stickstoffe zu erwarten. Tatsächlich beobachtet man nur ein als Dublett auftretendes Signal. Die erneut in DMSO aufgenommenen 1H-NMR Spektren unserer Substanzen zeigten eine zeitabhängige, reproduzierbare Veränderung.

Dia [36]. [1492 (1H frisch, 5 Tg, H-H 2-D)]

Im Bild sehen Sie erneut Ausschnitte der aromatischen Signale des 1H NMR Spektrums und zwar einmal der frisch gelösten Substanz und einmal nach fünf Tagen. Sie zeigen die erwarteten, mit Sternchen gekennzeichneten, Signale für das vier-spin-System. Merkwürdig sind hingegen die mit Punkten gekennzeichneten Signale des 4-Chlorphenylringes. Anstelle eines einfachen AB-ähnlichen Systems sind verbreiterte Linien zu beobachten, die auf vier separate Wasserstoffe hinweisen. Diese verändern sich, in Abhängigkeit von der DMSO Qualität (48), von einem vier-spin System bis zu einem, hier nicht gezeigten, verbreiterten zwei-spin System und weisen langsame Austauschreaktionen auf.

An dem Ausschnitt aus dem 2-D Spektrum kann man letzte Zweifel, ob es sich nicht doch um ein AB - System handelt, beseitigen. Die Zuordnung der Kopplungssignale und die Größe der Kopplungskonstanten von ca. 7 Hz ergibt, daß es sich um ein System mit "gekreuzter" Kopplung handelt, wobei "gekreuzt" nur geometrisch gemeint ist. Wie erklären wir uns diese Beobachtungen ?

Dia [37]. [Dimroth U. / Ergebnisse Taylor]

In einer Arbeit von Taylor und Mitarbeiter (49) aus dem Jahre 1962 beschreiben die Autoren, daß sie aus 4-Imino-3-phenyl-tetrahydro-chinazolin-2-thion durch Dimroth (50) - Umlagerung (51) auch die an der 3- Position unsubstituierten N-substituierten
4-Amino-dihydro-chinazolin-2-thione erhalten hatten. Eine analoge Umlagerung des 4-Imino-3-phenyl-tetrahydro-chinazolin-2-on
(52) gelang Taylor auch unter verschiedensten basischen Bedingungen und Lösungsmitteln nicht, sondern führte nur zu Hydrolyseprodukten.

Dia [38]. [Tautomerengleichgewicht]

Wir glauben, daß die NMR Spektren unserer Substanz durch das im Dia dargestellte Cyclotautomerengleichgewicht erklärbar sind.

Es erklärt :

1) die beobachteten mehreren breiten und labilen Wasserstoffsignale im 1H NMR,

2) die beobachteten vier bzw. zwei Signale durch Einbeziehung des 4-Chlorphenylsystems in den Austausch über
     E/Z Isomerie,

3) das Verhalten in den 13C Spektren durch die wechselnde Umgebung und

4) das eine scharfe Stickstoffsignal in den 15N Spektren.

Wahrscheinlich handelt es sich um den in allen Formeln als NH gezeichneten Stickstoff. Allen anderen gehen durch breite Koaleszenz im Grundrauschen unter. Das System erweist sich also nicht als statisch und eindeutig, sondern das entsprechende Dimrothprodukt ist zumindest im Gleichgewicht in der Lösung vorhanden.  Diese Ergebnisse haben Konsequenzen für unser, gemäß den Angaben von Taylor, erwartetes Wunschprodukt.

Dia [39]. [Versch. Struktur von 1495 aus 1492]

Es könnten in der nächsten Umsetzungsstufe mit Isocyanaten neben A, bei Reaktion als Dimrothprodukt, auch die hier mit B und C bezeichneten Derivate möglich sein, deren spektroskopische Unterscheidung im 1H und 13C Spektrum sehr schwierig ist. Struktur B können wir wohl ausschließen. Im 15N Spektrum beobachten wir nur ein Signal, daß aber, wie in der Vorstufe, bei 120 ppm liegt. Nachdem auch die Massenspektroskopie, [Folie] wegen der thermischen Empfindlichkeit der Verbindungen, nicht weiter half, haben wir versucht uns dem Problem mittels der Röntgenstrukturanalyse zu nähern, obwohl der Unterschied Festkörper - Lösung damit natürlich nicht geklärt ist. Aufgrund mangelnder Kristallisationseigenschaften mußten wir statt des 4-Chlorphenyl-Derivates auf die phenylsubstituierte Verbindung (1513) zurückgreifen. Diese zeigt in DMSO prinzipiell gleiches Verhalten, wenn auch, durch das Fehlen der 4-Chlorsubstitution, nicht so gut erkennbar.

Dia [40]. [Röntgenstruktur 1513]

Als Ergebnis der Röntgenstruktur, hier in einer Schakaldarstellung, ist festzustellen, daß im Kristall die Iminstruktur und nicht das Dimrothprodukt vorliegt.Die Struktur ist noch nicht verfeinert gerechnet, daher kann ich Ihnen noch keinen R-Wert angeben und
auch die Wasserstoffe sind noch nicht alle im Dia dargestellt. Bezüglich der Zielverbindung mußten wir, gleichfalls aus Kristallisationsgründen, auf das Acylcarbamoylierungsprodukt statt des Carbamoylierungsproduktes dieser Verbindung zurückgreifen.

Dia [41]. [1513--> 1510 (mit Acyliso)]

Die Röntgenstuktur dieser Verbindung ist in Arbeit, leider aber nicht mehr zu einem Dia geworden. Da sie jedoch gleichfalls die Zielstruktur ergab, scheinen das uns lange beschäftigende Problem ein Effekt des Lösungsmittels DMSO zu sein. Wir haben uns daher entschlossen, nach Wiedereröffnung unseres Instituts, diese Untersuchungen mit der Prüfung der biologischen Aktivität der Chinazolone fortzusetzen.
 

Abschließend bleibt nur noch meiner technischen Assistentin Frau Sabine Jürgens für ihre Mitarbeit zu danken und Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Schriften

 

1. Lister 1867

2. N. Kreutzkamp, Pharm.Ztg. 118 1103 (1971)

3. Hydrolyse, Redoxvorgänge oder unspezifische Esterasen

4. die Wirkform

5. 4-Oxocyclophosphamid (V) und Carbophosphamid (VI)

6. P.G. Waser u. E. Sibler in Inovative Approaches in Drug Research, S.155 (1986).

7. P.G. Waser/E. Sibler, Inovative Appr. in Drug Res., 155 (1986)

8. A. Munn, Isocyanates as health hazards, Ann.Occ.Hyg.8,163 (1965)

9. z.B. Reizwirkungen und Unverträglichkeiten

10. D. Martin, Synth. Senfölbildner, Akad. Verl. Berlin 1962

11. A. Munn, Isocyanates as Healthhazards", Ann.Occup.Hyg. 8, 163 (1965)

12. S. Petersen, Lieb. Ann. Chem. 562, 210 (1949)

13. M.O. Lozinskii u. P.S. Pel'kis, Russ. Chem. Rev. 37, 363 (1968).

14. a) J.L. Marx, Science 197, 1170 (1977)

      b) K. Wellinga, W.R. Mulder u. J.J. van Daalen, J.Agr.Food Chem. 21, 348,993 (1973)

      c) ebenda 25, 987 (1977)

15. K. Wellinga J.Agr. Food Chem. 25, 987 (1977)

16. F. Hunter/E. Vincent, Experienta, 30, 1432 (1974)

17. Kohlenstoff gelb, Wasserstoff weiß, Stickstoff blau, Sauerstoff rot und Chlor grün dargestellt.

18. Roth/Fenner "Arzneistoffe" S.185

19. A.W. Hofmann, Ber.Dtsch.Chem.Ges. 15, 407 (1882)

20. Mikroliterpumpe 6-10 l/min

21. von Halogen

22. an Doppelbindungen

23. Imidazol, Morpholin, Pyrrolidin

24. W. Siefken, Lieb. Ann. Chem. 562,91 (1949).

25. P.F. Wiley, J.Am.Soc. 71, 3746 (1949)

26. H. Möhrle u. P. Spillmann, Tetrahedron 25, 5595 (1969); Tetrahedon 26, 4895 (1970)

27. Dies entspricht Befunden von Kiemstedt und Sundermeyer an Umsetzungsprodukten zwischen
      Trifluoracetylisocyanat und N,N-Diphenylamin.

28. W. Kiemstedt/W. Sundermayer, Chem. Ber. 115, 919 (1982)

29. ihrerseits über Grignardreaktion darstellbar

30. B.S. Drach/J.Y. Dolgushina/A.D. Sinitsa/A.V. Kirisanov Zh.Obs. Khim. 42, 1240 (1972)

31. Mit Aminen in Benzol bei RT

32. Th. Kibbel, Diss. 1986

33. Aldimine lager immer um und sind damit nicht einsetzbar

34. Anmerk. zu A. Pinner, Ber. 23, 2923 (1890) im Houben-Weyl ist falsch

35. Nitril-Alkohol-gasf. HCl

36. B.L. Zakharov, Zh.Org.Khim. 8, 31 (1972)

37. Umlagerung zum N,N-disubstituierten Amid

38. R. Roger u. D.G. Neilson, Chem.Rev. 61, 190 (1961)

39. Daphnia magna

40. aus der Gruppe der Blattfußkrebse

41. Die Zucht ist einfach und billig. Als Zuchtgefäße dienen 2 l Bechergläser, als Futter Grünalgen und etwas Fischbrutfutter, als Testgefäße
      einfache Reagenzgläser.

42. Maschenweite größer 0.5 mm und kleiner 0.8 mm

43Letale Conzentration für 100% der Tiere

44. 21. L. Butula, Pharmazie, 33, 430 (1978).

45. Lepidum sativum

46. H.G. Schweim, Die Pharmazie,44, 319 (1989).

47. K.W. Breukink und P.E. Verkade, Recueil Trav. chim. Pays-Bas 79, 443 (1960).

48. sprich dem Wassergehalt

49. E.C. Taylor u. R.V. Ravindranathan, J.org.Chem. 27, 2622 (1962)

50. Die Dimroth Umlagerung wird üblicherweise als basisch katalysierte, thermisch ausgelöste Ringöffnungs- und Recyclisierungsreaktion mit
      dazwischenliegender Isomerisierung und "Platzwechsel" zwischen Imino- und Aminofunktion beschrieben.

51. D.J. Brown in Mech. of Mol. Migrations (Ed. B.S. Thyagarajan, Vol 1 (1968)

52. zu 4-Amino-dihydro-chinazolin-2-on