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Isocyanatpräcursoren -- ein Ansatz für neue Chemotherapeutica ?

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für die freundlichen Worte der Einführung.

Wir beschäftigen uns in meiner Hamburger Arbeitsgruppe mit Harns­toffderivaten mit transacylierende Eigenschaften, von denen wir biologische Wirkungen, zum Beispiel Einfluß auf die Zellteilung erhoffen.

 

Gestatten Sie mir zuerst eine Darstellung der Hintergründe, die uns zu unseren Untersuchungen veranlaßt haben.

Wie Ihnen bekannt, sind bis heute, je nach Definition, nur ca. 20-50 % aller Erkrankungen überhaupt durch Arzneimittel beeinflußbar. Selbst das Feld der im weitesten Sinne antibiotischen Stoffe, auf dem seit der ersten Desinfektion mit Phenol[1]* 1867 enorme Fort­schritte gemacht worden sind, muß weiterhin umfangreich bearbeitet werden. Sei es um Resistenzen zu bekämpfen, verträglichere oder spezifischere Substanzen zu erzielen, oder bisher nicht therapier­bare Erkrankungen wirksam angehen zu können.

Unabhängig vom vielschichtigen Gesamtschicksal eines Arzneistoffs in einem Organismus hat sich in vielen Fälle gezeigt, daß für die Wirkung die Ausbildung eines Pharmakon - Rezeptorkomplexes der entscheidende Schritt ist. Dies gilt auch für germicide Stoffe, bei denen es sich im Idealfall ja um Stoffe mit selektiver Toxizität für einen "Fremd"- Organismus handelt.

Dia [1]. [Wirkung der ß-Lactame] 1

Beispielsweise weiß man von den ß-Lactamen, daß sie in der Kaskade der Zellwandbiosynthese die Transpeptidase des letzten verknüpfen­den Schritts der Peptidoglycan-Synthese durch Acylierung inakti­vieren.

Dia [2]. [Computervergleich]  2

Vermutlich durch die Konformationsähnlichkeit des den ß-Lactamen zugrunde liegenden Dipeptids aus D-Cystein und D-Valin und dem eigentlichen Substrat der Transpeptidase, einem Peptid mit der Teilstruktur des D-Alanyl-D-alanin.

Bei der Entwicklung synthetischer Germicide[i] zeigt sich, daß che­misch hoch reaktive Strukturen wegen unspezifischer Wirkungen oft nicht einsetzbar sind.

Dia [3]. [Transportform 1.ter u.2.ter Art]  3

Ein Weg, um zum Beispiel toxische Effekte zu umgehen ist, den Wirkstoff in eine untoxische "Transportform" einzubauen, aus der er erst am Zielort in seine "Wirkform" überführt wird. Arzneistoffe dieses Typs werden nach Kreutzkamp[ii] "Transportformen 1.ter Art[2]*" genannt. In einigen Fällen kann es jedoch durch unspezifische Freisetzung zu unerwünschten Reaktionen kommen, wenn ubiquitäre chemische oder biologische Vorgänge[3]* die Wirkform freisetzen. Diese Gefahr kann durch Einsatz einer, nach Kreutzkamp als "Trans­portform 2.ter Art" zu bezeichnenden Weiterentwicklung, die den Wirkteil, ohne das dieser frei auftritt, direkt aus dem intakten Molekül auf den Rezeptor  überträgt, vermieden werden.

 Die wohl älteste und, obwohl eigentlich obsolet, noch angewendete synthetische Substanz, die eine "Transportform 1.ter Art" dar­stellt, ist das Hexamethylentetramin (Urotropini). Es wird bekannt­lich zur Behandlung von Harnwegsinfektionen eingesetzt da es im sauren Urin Formaldehyd abspaltet, der in den Harnwegsorganen desinfizierend wirkt.

Als bedenklich ist jedoch die Möglichkeit der unspezifischen For­maldehydfreisetzung in anderen Geweben einzustufen.

Dieser Gefahr kann man durch den Einsatz einer Weiterentwicklung nach dem Prinzip "Transportformen 2.ter Art" begegnen.

Einen an das Urotropini in diesem Sinne anknüpfenden Fortschritt stellt der in neuerer Zeit[iii] entwickelte Arzneistoff Taurolidini (TaurolinR) dar.

Dia [5]. [Taurolidin]  4

Als Wirkmechanismus konnte eine Reaktion der von Plasmaenzymen freigesetzten aminalischen Kohlenstoffe mit freien bakteriellen Aminogruppen durch Vernetzung über Methylenbrücken bewiesen werden. Durch 14C-Markierung wurde gezeigt, daß nur die mit Pfeilen gekenn­zeichneten Atome reagieren.

Die anfangs vermutete Reaktion über freies Formaldehyd konnte durch gaschromatographische Messungen mit Sicherheit ausgeschlossen werden[iv], die gemessen Konzentrationen waren kleiner als 0.004%. 

 Warum untersuchen wir, anknüpfend an die Vorstellungen über Trans­portformen, Isocyanatpräcursoren ?

1. Isocyanate können mit nucleophilen Gruppen in biologisch wichti­gen Molekülen stabile Addukte bilden.

Damit sind häufig pharmakologische Effekte, oft toxischer Art[v], verbunden, die den direkten therapeutischen Einsatz verhindern.

2. Isocyanate sind potentiell als germicide Stoffe geeignet, wenn es gelingt, ihre toxischen Effekte selektiver und moderater zu gestalten.

So hatten sich bei Pharmaka auf der Basis von Senfölbildnern gerade die in vitro hoch wirksamen Stoffe in vivo als unbrauchbar erwiesen da sie zu leicht zu Senfölen zerfallen und damit in der Anwendung Probleme[4]* aufweisen[vi].

3. Es gibt Hinweise auf den Mechanismus der Wirkungen von Isocyana­ten.

Zielmoleküle sind in diesen Fällen Amino- und Amidogruppen[vii] von Proteinen. Damit existiert auch ein Angriffspunkt, der für er­wünschte pharmakologische Wirkungen denkbar ist.

4. Man kennt ferner eine größere Zahl sehr unterschiedlich kon­struierter Verbindungen, die als Isocyanatpräkursoren nutzbar sind. Einige von ihnen, unter Ausklammerung cyclischer Derivate, sind im folgenden Bild zusammengestellt[viii].

Dia [6]. [Verschiedene Isocyanatspalter]  5

Diese und andere "verkappte Isocyanate", besonders aus der Reihe der Diisocyanate, werden für Polymerisationsreaktionen großtech­nisch genutzt, da ihr Zerfall thermisch auslösbar ist.

Die Nutzung derartiger Abspaltungseigenschaften für pharmakologi­sche Zwecke war meines Wissens bisher noch nicht untersucht worden.

Zur Untersuchung auf ihre Eignung als Transportform erschienen mir die N-substituierten, N'-acylierten Harnstoffe besonders geeignet. Für sie spricht, daß die Harnstoffpartialstruktur in einer großen Zahl von bekannten Arzneistoffen enthalten ist. Es scheint daß Harnstoffe, möglicherweise wegen ihrer Verwandtschaft mit natürlich auftretenden Verbindungen, zu den "biologisch tolerierbaren" Struk­turen gehört.

In gängigen Lehrbücher und in zusammenfassenden Artikeln[ix] werden Harnstoffderivate mit anaesthetischer, pesticider, antidiabeti­scher, antidepressiver, antituberkulöser, hypoglykämischer, anti­konvulsiver, antineoplastischer und hypnotischer Wirkung sowie als Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel beschrieben.

Dia [8]. [Arzneistoffbeispiele]  6 

Es sprengte diesen Vortrag, alle Anwendungen mit Strukturbeispielen zu belegen.

Mit diesen, zum Teil in Heterocyclen eingebundenen Harnstoffstruk­turen, möchte ich Ihnen nur zeigen, wie vielfältig alleine die Anwendungen als Chemotherapeutica sind.

Hierbei bitte ich besonders das Krebsmittel Carmustini zu beachten. Dia [10]. [Carmustin Wirkmech.]  7

Hier sehen Sie die in der Literatur vermutete Erklärung der Wir­kung. Dabei wird stets auf das "alkylierende Carbeniumion" abge­hoben, das mitentstehende Isocyanat wird nicht besonders be­handelt[5]*. Weitgehend unbeachtet scheint dabei eine Veröffentli­chung von Kann, Kohn und Lyles in "Cancer Research" von 1975 ge­blieben zu sein, die schreiben:

"The isocyanat seems to be important, since other N-nitroso-urea-compounds have little or no activity".

[Zu unseren eigenen Untersuchungen]

Die ersten von uns eingehend untersuchten Verbindungen, die N-substituierten, N'-acylierten Harnstoffen, sind als Stoffklasse schon seit über 100 Jahren bekannt[x].

Ihre Darstellung erfolgte durch Zusammenschmelzen der Ausgangs­stoffe, Erhitzen von Amiden in flüssigen Isocyanaten oder Umsetzung beider Komponenten in hochsiedenden Lösungsmitteln. Weitere Zu­gangswege bieten die Umsetzung von Acylisocyanaten mit Aminen, die Acylierung von Harnstoffen sowie ein modifizierter Hofmann-Abbau.

Dia [11]. [Darstellungswege]  8 

Wir nutzen, in etwas abgewandelter Form, als Hauptzugangsweg die Umsetzung von Säureamiden mit Isocyanaten in trockenem Dioxan unter Rückfluß, meist mit befriedigenden bis guten Ausbeuten. Daneben wurde in einigen Fällen die Umsetzung von Acylisocyanaten mit Aminen oder aminanalogen Verbindungen in Ether bei Raumtemperatur verwendet. Nach beiden Methoden ist eine erwünschte breite Variati­on der Reaktionspartner möglich.

Dia [12]. [Erste Spaltungen]  9

Schon bei ersten Spaltungsversuchen mit Aminen als Modellnucleophi­len zeigte sich, daß die beiden prinzipiell denkbaren Spaltungswege zu Isocyanaten und Acylisocyanaten zur Beschreibung des wesentlich komplexeren Spaltungsverhaltens nicht ausreichten. Während im Falle der Piperidinolyse der Verbindung X = H  sowohl Produkte eines Isocyanat- als auch Acylisocyanat- Zerfallsweges beobachtet werden konnten, wurde im Falle der Verbindung X = Cl nur ein analoges Acylisocyanatprodukt gefunden. Da die Umsetzungen unter sonst gleichen Bedingungen durchgeführt wurden und die Aufarbeitung "low - bar" - säulenchromatographisch mit Wiederfindungsraten der einge­setzten Substanzmengen größer 80 - 90 % erfolgte, konnte der Zer­fallsweg nur von den Substituenten am Aromaten abhängig sein.

Um die Substituenteneinflüsse abzuklären, wurden zahlreich ver­schieden substituierte Verbindungen unter Berücksichtigung der Taft-  und Hammett- Parameter hergestellt.

Das Zeigen entsprechender langer Tabellen möchte ich Ihnen jedoch hier und auch im Folgenden ersparen.

Diese wurden dann in Spaltungsuntersuchungen in ihrem Verhalten gegen verschiedene Nucleophile getestet. Um die Zahl der sich ändernden Parameter nicht zu groß zu gestalten, wurden dazu "Stan­dardbedingungen" bezüglich Lösungsmittel, Temperatur, Aufarbeitung usw. definiert und angewendet.  

Als in vitro Modellsubstanzen für die in reaktiven Zentren von Enzymen häufig anzutreffenden SH- bzw. NH- Funktionen wurden Thi­ophenol und Benzylmercaptan sowie verschiedene Amine verwendet. Die Selektivität der Spaltung war erfreulich. Reaktionen mit OH-und SH- Nucleophilen sowie CH- aciden Substanzen trat nicht ein. Da die toxischen Effekte von Isocyanaten, wie erwähnt, wesentlich auf die Reaktion mit Aminogruppen von Biomolekülen zurückzuführen sind, ist hier eine wichtige Eigenschaft der "Wirkform" in der potentiellen "Transportform" erhalten geblieben. Um den Einfluß der Basizität der eingesetzten Amine abzuklären wurden vielfältige Amine erprobt. Während sich die Substanzen gegen Anilin und Imidazol inert ver­hielten, gab es Unterschiede zwischen den primären Aminen auf der einen und den sekundären Aminen auf der anderen Seite.

Dia [14].  [Hauptspaltwege]  10

Neben den erwähnten Hauptreaktionswegen A und B können eine Reihe von "Nebenwegen" auftreten. Nebenwege bedeutet hierbei nicht Neben­produkte, die zu beschreibenden Produkte sind Haupt- oder einziges Reaktionsprodukt.

Als Ausweichreaktionen (Weg e) treten bei geeignet konstruierten Verbindungen Substitutionen[6]* oder Additionen[7]* im Rest R1 auf. Im Falle entsprechender aliphatischer Reste R2 ist dies die einzige zu beobachtende Reaktion.

Bei ausreichender NH-Acidität werden auch Salzbildungen (Weg d) mit den zur Spaltung gedachten Aminen beobachtet.

Wenn es sich beim Acylrest um einen Formylrest handelt, wird nur eine Abspaltung (Weg a) oder Übertragung (Weg b) des Acylrestes auf das Amin beobachtet.

Eine ungewöhnliche Ausweichreaktion (Weg c), die zwar in einem Einzelfall beliebig wiederholbar ist, von der es uns jedoch nicht gelang, sie auf andere Beispiele zu übertragen, möchte ich hier nicht weiter eingehen.

Um das beobachtete vielfältige Spaltungsverhalten einheitlicher zu gestalten, wollten wir durch Blockierung an N'- bzw. N- jeweils eine der denkbaren Spaltungsmöglichkeiten verhindern.

Dia [18]. [Blockierungsversuche]  11

Bei Verbindungen des Typs I sollten Acylisocyanate und bei Verbin­dungen des Typs II Isocyanate durch die Blockierung nicht auftreten können. Zur Darstellung sind mehrere Zugangswege theoretisch vor­stellbar. So sollten Derivate des Typs I formal aus N-substituier­ten Carboxamiden und Isocyanaten zugänglich sein. Während sich jedoch N-unsubstituierte Carboxamide problemlos mit Isocyanaten umsetzen, versagt die Reaktion mit den meisten N-substituierten Amiden, ausser den Lactamen.

Eine Erklärung für dieses Verhalten soll nach Literaturangaben[xi] in der "zu geringen Basizität" der Amide zu suchen sein.

Es gelang uns in dieser Reihe erstmals sowohl N-Methyl- als auch N-Phenyl-formamide mit Isocyanaten umzusetzen.

Dies erinnert an Befunde von Möhrle und Spillmann[xii] zur Darstellung von N-Mannichbasen. Dort lassen sich gleichfalls N-substituierte Formamide, im Gegensatz zu anderen sekundären Amiden, einsetzen.

In den Spaltungsuntersuchungen zeigte sich ein nach dem Substituent R am Stickstoff des Formylrestes differenziertes Bild.

Dia [19]. [Spaltg. der sek. Formamide]  12

Nur Derivate des Formanilids ergaben über Isocyanatspaltung erklär­bare Produkte, Derivate des N-Methylformamids erwiesen sich, wie die N-unsubstituierten Derivate, als Transformylierungsreagentien.

Die IR-spektroskopische Kontrolle der Spaltungsansätze ergab für die Formanilidderivate das Auftreten eines Isocyanatpeaks, so daß ein thermisch induzierter Zerfall leider nicht auszuschließen war.

 An dieser Stelle möchte ich unser Verfahren zur situ-IR-Spektrosko­pie, mit dem die Spaltung während der Reaktion verfolgt werden konnten, um einen thermischen Zerfall auszuschließen, erläutern.

Nach Aufnahme eines Bezugsspektrums wurden Testlösung und Lösungs­mittelvergleich direkt aus dem Ansatz durch ein Beckman MikrolabR 600 IR-Gerät gepumpt[8]* und im überlagerten Verfahren alle 5 bzw. 10 min ein Differenzspektrum aufgezeichnet. Um Rückreaktionen zu erkennen wurde das Erhitzen abgebrochen und bis zum Erkalten weiter registriert. Bei Ansätzen ohne Nucleophil konnte so durch das Fehlen einer entsprechenden Banden im IR Spektrum ein Zerfall durch thermische Dissoziation in freies Isocyanat und Amid und Erklärung des Spaltungsverhaltens durch Reaktion des ersteren mit den zu­gesetzten Aminen ausgeschlossen werden.

Dia [13]. [Spektrum 60 fach]  13

Im Dia dargestellt ist eine 60 fach wiederholte Registrierung des Spektrums im 5 min Abstand. Es zeigt, daß die Verbindung über den gesamten Meßzeitraum stabil ist. 

 Bei der Untersuchung von Lactam-Isocyanataddukte erwies sich die Spaltung von der Ringgröße des Lactamringes abhängig, kleinringige Lactamderivate [< 5 Kohlenstoffe] waren stabil, größere ergaben die erwünschten Spaltprodukte. Die IR-spektroskopischen Untersuchungen der Produkte ohne Nucleophilzusatz enttäuschend, da die Spektren den Isocyanaten zuzuordnende Banden aufwiesen.

Dia. [21]  [Spektren 2 Iso bei Lactam]  14

Spektrum 2a zeigt den Ausgangszustand. Spektrum 2b ein unter glei­chen Bedingungen aufgenommenes Spektrum von Phenylisocyanat. Spek­trum 2c zeigt das durch wiederholte Registrierung während des Erhitzens gewonnene Spektrum mit dem anwachsenden Isocyanatpeak. Spektrum 2d zeigt den Endzustand.

Diese Verbindungsklassen waren daher für den angestrebten Untersu­chungszweck ungeeignet.

Dia [22]. [Blockierungstypen Aryl, III u. IV]  15

Bitte betrachten Sie zuerst den oberen Teil des Dias.

Am arylsubstituierten Stickstoff blockierte Verbindungen waren durch Umsetzung von Acylisocyanaten mit sekundären Aminen erhält­lich. Leider zersetzten sich die meisten Produkte schon nach kurzer Zeit unter blauer Verfärbung. Dies entspricht Befunden von Kiems­tedt und Sundermeyer[xiii] an Umsetzungsprodukten zwischen Trifluorace­tylisocyanat und N,N-Diphenylamin. 

 Als weitere Möglichkeit zur Herstellung blockierter Derivate soll­ten Substanzen mit den im unterem Teil des Dias abgebildeten Bau­mustern untersucht werden. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen waren vom Typ III Isocyanat, vom Typ IV Acylisocyanatpräkursor­eigenschaften zu erwarten. Die Verbindungen des Typs III haben wir durch Umsetzung von Ketiminen[9]* mit Isocyanaten hergestellt.

Dia [23]. [Russen/Wir - Ketimin/Iso]  16

Aus dieser Stoffklasse waren meines Wissens bisher nur einige Diphenylmethylenharnstoffe hergestellt und von einer russischen Arbeitsgruppe[xiv] in Aminolyseuntersuchungen getestet worden. Als Ergebnis wurden Additionen an die Doppelbindung beschrieben. Wir haben diese Untersuchungen aufgegriffen und sowohl nach der Origi­nalvorschrift[10]*, als auch mit unseren "Standardbedingungen" bei der Aminolyse nur Produkte eines Isocyanatweges in Ausbeuten von 80 - 100 % und kein Additionsprodukt gefunden.

Die säulenchromatographisch bestimmten Substanzwiederfindungsraten waren dabei größer als 80 - 90 %, das Spaltungsverhalten der Sub­stanzen wie erwartet[11]*.

Dia [24]. [Typ IV Ketimin-Acyliso]  17

N-Acyl-N'-alkylidenharnstoffe waren meines Wissens bisher noch nicht beschrieben worden. Wir konnten sie unter milden Bedingungen bei -15oC in absolutem Tetrahydrofuran aus Ketiminen und Acyliso­cyanaten erhalten. In den Spaltungsuntersuchungen erwiesen sie sich in Abwesenheit von Nucleophilen, auch bei in-situ-IR-Untersuchun­gen, als stabil. Mit Aminen gaben sie, wie erwartet, in Ausbeuten über 80 - 99 % die Produkte eines Acylisocyanatweges.

Eine Besonderheit stellen in diesen Reihen Addukte zwischen Acyli­socyanaten und Isopropylphenylketimin dar.

Dia [25]. [Spektrum 3 Acylimin-Eniso]  18

Nach neueren Untersuchungen[12]* liegt Isopropylphenylketimin in der Iminoform und nicht in einer denkbaren Enaminostruktur vor. Die Additionsprodukte mit Acylisocyanaten lagern sich nach 1H-NMR- Untersuchungen, das Auftreten der beiden isolierten Methylsignale beweist das Vorliegen der Verbindung in der Enaminoform, jedoch vollständig in diese um, wie es für derartige tautomeriefähige Systeme zu erwarten ist.

Dia [26]. [Spaltung Acyliso-Ketimin]  19

In den Spaltungsuntersuchungen ergaben sie hingegen ausschließlich Produkte des Acylisocyanatweges, was eine Reaktion aus den Alkylidenharnstoff-Tautomeren gemäß dem gezeigten Schema nahelegt. Es wird zusätzlich dadurch gestützt, daß Produkte einer denkbaren En-Isocyanatspaltung nicht beobachtet wurden.

Dia [27]. [Imidate u. Isocyanate]  20 

Wegen der Einschränkung auf Ketimine, Aldimine lagern immer um und sind damit nicht einsetzbar, wurden dann Umsetzungsprodukte von Imidaten, auch Imidoester genannt, und Isocyanaten hergestellt und untersucht.

Im Gegensatz zur sonst breiten Bearbeitung der Imidate waren Umset­zungen mit Iso- und Acylisocyanaten meines Wissens bisher noch nicht vorgenommen worden[xv].

Imidate sind durch die bekannte "Pinner-Reaktion"[13]* als Hydro­chloride meist gut erhältlich, die freien Basen hingegen sind nur kurzzeitig stabil. Wir stellten erstere daher nach einem literatur­üblichen Verfahren[xvi] her und setzten sie als Basen sofort nach der Freisetzung ohne Isolierung um.

Die Reaktion in Tetrahydrofuran bei -15oC verläuft erstaunlich glatt, wobei die Ausbeuten größer 40% - 90% waren.

Als Isocyanatkomponente waren nur Arylisocyanate einsetzbar. Wenn R1 und/oder R3 aliphatisch sind, werden ausschließlich die, aus der Reaktion der entsprechenden Isocyanate mit sich selbst erklärbaren, symetrischen Harnstoffe isoliert.

Der notwendige Strukturbeweis für den Erhalt der Imidoesterpartial­struktur in den Umsetzungsprodukten, um das Eintreten einer Chapman-Umlagerung[14]*,[xvii] auszuschließen, läßt sich leicht durch das 13C-NMR am folgenden Beispiel führen.

Dia [28]. [Spektrum 8 13C-Methoxy]  21

Der Peak für das O-CH3 Signal 3 liegt bei etwa 55 ppm, in guter Übereinstimmung mit der Literatur, die für Methyl als α-Substitu­enten am Sauerstoff 50 - 60 ppm angibt. Ein entsprechender Peak für N-CH3 wird mit maximal 48 ppm, meist um 35 ppm angegeben. In den anschließenden Spaltungsuntersuchungen erwiesen sich die Verbindun­gen in Abwesenheit von Nucleophilen wie erhofft als stabil, mit Aminen ergaben sie in guten Ausbeuten die Produkte eines Isocyanat­weges.

Dia [29]. [Imidate u. Acylisocyanaten]  22

Umsetzungsversuche zwischen Imidaten und Acylisocyanate führten anfangs nicht zu den gewünschten Produkten sondern zu den ent­sprechenden N,N'-bisacylierten Harnstoffen. Ihre Bildung ist analog zu den Isocyanaten als Reaktion der Acylisocyanate mit sich selbst erklärbar. Erfolgreich waren erst Umsetzungen bei Temperaturen von -70 oC. Die entstandenen Produkte erwiesen sich jedoch als thermo­labil. So war es z.T. nicht möglich sie umzukristallisieren. Da­gegen waren sie gegen protische Lösungsmittel wie Ethanol oder Wasser erstaunlich stabil. Einige konnten sogar durch Waschen mit Wasser gereinigt werden. In den Spaltungsuntersuchungen ergaben sie erwartungsgemäß Produkte eines Acylisocyanatweges.

Im folgenden möchte ich über einen Teil unserer Bemühungen die biologische Wirkung der hergestellten Substanzen zu ermitteln, berichten.

Als einfachen Test, auf zellteilungsbiologische Aktivität unserer Verbindungen verwendeten wir eine modifizierte Form des "Kresse-Wurzel-Tests" nach Butula[xviii]. Zur Durchführung läßt man 20 - 30 Samen der Gartenkresse[15]* in destilliertem Wasser auf Filtrierpapier keimen. In der Originalvorschrift nicht erwähnt, aber besonders bemerkenswert erscheint mir, daß man unbehandelte Samen verwendet, die schwer zu bekommen sind. Nach 48 h Kultur bei 20 +/-1 oC wurde das Wasser gegen die Prüflösung ausgetauscht. Als Testkonzentration wurde 1 mg/ml verwendet. Nach 24 h bestimmten wir von der Hälfte der Samen, nach weiteren 24 h  von der anderen Hälfte die Entwick­lung der Wurzelhaare, indem wir sie unter einem Stereomikroskop betrachteten, photographierten und vermaßen und mit in Wasser gezogenen Samen verglichen.

Dia [32]. [Photos Kressetest] 23

Abgebildet sind Ergebnisse der Testung der Isocyanat-Imidat - Addukte. In der Mitte ist die Entwicklung der Wurzelhaare der Vergleichspflanze, umgeben von verschiedenen Testansätzen zu sehen. Wie sie sehen sind in diesen Fällen die Wurzelhaare nur noch rudi­mentär entwickelt.

Im vorbeschriebenen Test hatten sich die Umsetzungsprodukte zwi­schen Ketiminen oder Imidaten und Isocyanaten als bisher wirksamste Verbindungsklassen[xix] erwiesen.

Da beiden Stoffklassen die C=N - Doppelbindung am abzuspaltenden Molekülteil gemeinsam ist, suchen wir nach weiteren entsprechenden Strukturen als Iminkomponenten.

So untersuchen wir z.Zt. 4-Imino-tetrahydro-chinazolin-2-one.  Dia [33]. [Darstellung Chinazolinone] 24

An 3-Position substituierte und an der Iminogruppe unsubstituierte Verbindungen wurden erstmals 1960 von Breukink und Verkade[xx] erhal­ten. An der 3-Position substituierte und der Iminogruppe carbamoy­lierte Derivate sind unseres Wissens bisher unbekannt. Wir führten die Darstellung aus 2-Aminobenzonitril und entsprechenden Isocyana­ten bei Raumtemperatur in Ether, den Ringschluß unter Katalyse mit Piperidin oder Kaliumtertiär-butanolat in Dioxan und die Umsetzung zum Zielprodukt erneut mit Isocyanaten durch. Auf die mit 1492 gekennzeichnete Schlüsselverbindung möchte ich im Folgenden näher eingehen.

Dia [34]. [1492 in Deuteroaceton + Formel] 25

Auf dem Dia sehen Sie einen Ausschnitt des Aromatenbereichs des 1H Spektrums der Verbindung in Deuteroaceton, der mit einem vier-spin-System annähernd erster Ordnung und einem AA'BB' System die angege­bene Struktur zu bestätigen scheint.

Da die Löslichkeit der Verbindung in Aceton sehr schlecht war und wir auch 13Kohlenstoff-Spektren aufnehmen wollten, wurden diese in DMSO aufgenommen. Und damit begannen die Probleme. 

Dia [35]. [NMR 1492 (13C und 13C APT  15N DEPT)] 26

Zu unserer Überraschung zeigten sie nicht den kompletten Satz der erwarteten Signale [14] und diese werden z.T. noch breit detekiert. [bestenfalls 8 - 10] Beachten Sie dabei bitte die Signale der quartären Kohlenstoffe im multiplizitätsselektierten Spektrum [APT]. Es ist zu vermuten, daß sich vorwiegend diese an möglichen Tautomeren beteiligen. Greift man dann in der Verzweifelung zum 15N-Spektrum ist die Verwirrung komplett. In dem mit Hilfe der DEPT Technik aufgenommenen Spektrum wären, methodebedingt, nach der Strukturformel je zwei Signale der beiden Wasserstoff tragenden Stickstoffe zu erwarten. Tatsächlich beobachtet man nur ein als Dublett auftretendes Signal. Die erneut in DMSO aufgenommenen 1H-NMR Spektren unserer Substanzen zeigten eine zeitabhängige, re­produzierbare Veränderung.

Dia [36]. [1492 (1H frisch, 5 Tg, H-H 2-D)] 27

Im Bild sehen Sie erneut Ausschnitte der aromatischen Signale des 1H NMR Spektrums und zwar einmal der frisch gelösten Substanz und einmal nach fünf Tagen. Sie zeigen die erwarteten, mit Sternchen gekennzeichneten, Signale für das vier-spin-System. Merkwürdig sind hingegen die mit Punkten gekennzeichneten Signale des 4-Chlorphen­ylringes. Anstelle eines einfachen AB-ähnlichen Systems sind ver­breiterte Linien zu beobachten, die auf vier separate Wasserstoffe hinweisen. Diese verändern sich, in Abhängigkeit vom Wassergehalt des DMSO, von einem vier-spin System bis zu einem, hier nicht gezeigten, verbreiterten zwei-spin System und weisen langsame Austauschreaktionen auf.

An dem Ausschnitt aus dem 2-D Spektrum kann man letzte Zweifel, ob es sich nicht doch um ein AB - System handelt, beseitigen. Die Zuordnung der Kopplungssignale und die Größe der Kopplungskon­stanten von ca. 7 Hz ergibt, daß es sich um ein System mit "ge­kreuzter" Kopplung handelt, wobei "gekreuzt" nur geometrisch ge­meint ist.

Wie erklären wir uns diese Beobachtungen ?

Dia [37]. [Dimroth U. / Ergebnisse Taylor] 28

In einer Arbeit von Taylor und Mitarbeiter[xxi] aus dem Jahre 1962 beschreiben die Autoren, daß sie aus 4-Imino-3-phenyl-tetrahydro-chinazolin-2-thion durch Dimroth[16]* - Umlagerung[xxii] auch die an der 3- Position unsubstituierten N-substituierten 4-Amino-dihydro-chinazolin-2-thione erhalten hatten.

Eine analoge Umlagerung  des 4-Imino-3-phenyl-tetrahydro-chinazolin-2-on[17]* gelang Taylor auch unter verschiedensten basi­schen Bedingungen und Lösungsmitteln nicht, sondern führte nur zu Hydrolyseprodukten.

Dia [38]. [Tautomerengleichgewicht]  29

Wir glauben, daß die NMR Spektren unserer Substanz durch das im Dia dargestellte Cyclotautomerengleichgewicht erklärbar sind.

Es erklärt : 

1) die beobachteten mehreren breiten und labilen Wasserstoffsignale im 1H NMR,

2) die beobachteten vier bzw. zwei Signale durch Einbeziehung des 4-Chlorphenylsystems in den Austausch über E/Z Isomerie,

3) das Verhalten in den 13C Spektren durch die wechselnde Umgebung und

4) das eine scharfe Stickstoffsignal in den 15N Spektren.

Wahrscheinlich handelt es sich um den in allen Formeln als NH gezeichneten Stickstoff. Allen anderen NH-Signale gehen durch breite Koaleszenz im Grundrauschen unter.

Das System erweist sich also nicht als statisch und eindeutig, sondern das entsprechende Dimrothprodukt ist zumindest im Gleichgewicht in der Lösung vorhanden. 

Nachdem auch die Massenspektroskopie, [Folie] wegen der thermischen Empfindlichkeit der Verbindungen, nicht weiter half, haben wir versucht uns dem Problem mittels der Röntgenstrukturanalyse zu nähern, obwohl der Unterschied Festkörper - Lösung damit natürlich nicht geklärt ist. Aufgrund mangelnder Kristallisationseigenschaf­ten mußten wir statt des 4-Chlorphenyl-Derivates auf die phenylsub­stituierte Verbindung (1513) zurückgreifen. Diese zeigt in DMSO prinzipiell gleiches Verhalten, wenn auch, durch das Fehlen der 4-Chlorsubstitution, nicht so gut erkennbar.

Dia [40]. [Röntgenstruktur 1513]  30

Als Ergebnis der Röntgenstruktur, hier in einer Schakaldarstellung, ist festzustellen, daß im Kristall die Iminstruktur und nicht das Dimrothprodukt vorliegt.

Der R-Wert beträgt 5.5, leider fehlt im Bild durch einen bertra­gungsfehler ein Wasserstoff.

Um der Frage der Umlagerung weiter nachzugehen, untersuchten wir die 3-alkylsubstituierten Derivate.

Dia [xx]. [NMR JH 28 u. NMR Edukt] 31

Im oberen Teil des Dias sehen Sie die offenkettige Verbindung, im unteren Teil die ringgeschlossene Struktur. Würde hier das umgela­gerte Produkt vorliegen, müßte eine NH-CH Kopplung im 1H-NMR wie im Ausgangsprodukt auftreten. Wie Sie sehen ist das nicht der Fall, also ist hier eine Umlagerung wohl auszuschließen. 

Dia [xx]. [Imidaz2] 32

Die von uns derzeit untersuchten 5,5-Disubstituierten 4-imino-imidazolidin-2-one zeigen ein vergleichbares Bild. Rechnerische Vergleiche der Reaktionsenhalpien zwischen umgelagerter bzw. nicht umgelagerter Form mit Hilfe von Kraftfeldrechnungen[18]*,[19]* weisen nur bei den 5,5-Diphenylprodukte auf eine größere Tendenz zur Dimroth­umlagerung hin, wie man an den negativen Werten der 3,5,5-triphe­nylsubstituierten Verbindung erkennen kann. Ob hier eine Beson­derheit bei aromatischer Substitution vorliegt, kann von uns der­zeit nicht entschieden werden.

Abschließend möchte ich über Umsetzungen von Isoharnstoffen mit Isocyanaten berichten.

Dia [xx]. [DIATH1 O-Alkyl/O-Aryl- Isoharnst.] 33

Die Darstellung der benötigten Isoharnstoffe mit einer freien Iminogruppe erfolgt nach der Literatur[xxiii] auf zwei unterschiedlichen Wegen.

O-Alkyl‑isoharnstoffe, erstmals von Steglitz und McKee 1899[xxiv] beschrieben, können aus den entsprechend substituierten Cyanamiden und Alkoholen im Überschuß unter basischer oder saurer Katalyse in glatter Reaktion erhalten werden.

Die aus unserer Sicht, wegen der zu vermutenden Substituentenein­flüsse auf das Spaltungsverhalten, interessanteren O‑Aryl-isoharns­toffe sind auf diesem Weg nicht zugänglich, da im Gegensatz zu den Alkoholaten die Phenolate nicht an Cyanamide addierbar sind. Ihre Darstellung erfolgt durch Umsetzung von Phenylcyanaten, auch Cyan­säureester genannt, mit den entsprechenden Aminen, bzw. im Falle aromatischer Amine mit den entsprechenden Hydrochloriden oder ‑bromiden.

Durch Variation der Reaktionspartner, einerseits im Phenol- und damit im  daraus  gebildetem Cyanat, anderseits in der Aminkompo­nente sind die Isoharnstoffe in großer Breite erhältlich.

Es gelang uns dabei auch, durch Modifikation der erwähnten Litera­turvorschrift (O-Aryl), die bisher nicht darstellbaren N,N,O‑Tri‑phenylisoharnstoffe darzustellen.

Dia [xx]. [DIATH2 Umsetzung mit Isocyanaten] 34

Die weiteren Umsetzungen  mit Isocyanaten zu Carbamoylisoharnst­offen, wie ebenfalls bereits von  McKee beschrieben, ergaben in  Ausbeuten  größer 70 ‑ 90 % zunächst nur mit Arylisocyanaten die entsprechenden Addukte, während mit Acylisocyanaten nur die aus der Reaktion mit sich selbst  erklärbaren  N,N'‑disubstituierten  Harnstoffe entstanden.

Setzt man jedoch bei ‑60 bis ‑30oC in absolutem Ether um, erhält man auch hier die gewünschten Produkte.

In  den nachfolgenden Spaltungsuntersuchungen erwiesen sich die Umsetzungsprodukte  mit  Acylisocyanaten häufig als zu instabil. Viele reagierten  bereits in der Kälte mit absolutem Ethanol, oftmals innerhalb weniger Stunden, zum entsprechendem Acylurethan oder begannen sich schon nach wenigen Tagen bei Raumtemperatur zu zersetzen.

Eine mögliche Stabilisierung  und  damit  verbundene Nucleoselekti­vität durch andere Substituenten wird derzeit noch untersucht.

Dia [xx]. [Dia Kressebilder H2O, TH59, TH92] 35

Bedauerlicherweise sind die Dias nicht so gut wie erhofft, ich bitte dafür um Entschuldigung.

Im Kressetest zeigten die untersuchten Verbindungen zu unserer Überraschung bereits beim Einsatz von gesättigten wäßrigen Lösungen mit Konzentrationen im  Bereich von 0.05 mg/ml, im Gegensatz zu früher verwendeten Konzentrationen also etwa zwei Zehnerpotenzen verdünnter, deutliche Wirkungen auf das Haarwurzelwachstum der Kresse.

Dargestellt sehen Sie die Entwicklung der Wurzelhaare, in der Mitte in destilliertem Wasser, jeweils links und rechts die Versuchs­ansätze. Beide Verbindungen wirken, wie nach unseren Vorstellungen erwünscht, recht moderat. Die Haupwurzel ist normal entwickelt, die Wurzelhaare sind eher rudimentär. Auf dem nächsten Dia sind Verbin­dungen mit stärkerer Hemmwirkung zu sehen.

Dia [xx]. [Dia Kresse TH87, TH107, TH106] 36

Erwähnt werden soll der deutliche Unterschied in der Hemmwirkung zwischen Th107 und Th106, die sich nur durch den 4-Chlorsubstituen­ten am Phenylring unterscheiden, eine Beobachtung, die wir auch früher schon machen konnten.

Die  Acylcarbamoylisoharnstoffe riefen  eine  drastische Hemmung des Wurzelhaarwachstum, zum Teil der gesammten Wurzel, hervor, so daß aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen eine mutagene Wirkung zu vermuten ist. Wir schließen dies aus Vergleichuntersuchungen mit als Arzneistoffen bekannten Zytostatika und Mutagenen Chemikalien, die wir durchgeführt haben[xxv].  

Dia [xx]. [DiaTH6 N,O‑Diaryliso, TH59, TH92]  37  Spaltungsversuche der Umsetzungsprodukte mit Arylisocyanaten zeig­ten, daß für eine ausreichende thermische Stabilität und hohe Nucleoselektivität eine O‑Arylisoharnstoffstruktur gebildet aus einem sekundärem aromatischem Amin, notwendig ist, wie sie im oberen Teil des Dia zu sehen ist. Spaltungen mit Piperidin ergaben bis 98% Spaltprodukte des erwarteten Isocyanattyps.

Die Verbindungen  TH59  und  TH92  im unteren Teil des Dia zu sehen kommen einer  optimalen Hemmwirkung des Haarwurzelwachstums und damit unserer Modellvorstellung über Produkte, die es sich lohnt weiter zu untersuchen, sehr nahe.

Vergleichstestungen mit den als Ausgangsverbindungen eingesetzten Isoharnstoffen, die als Alkyl‑ und Arylantien selbst eine Hemmung des Wurzelhaarwachstums auslösen könnten zeigen, daß diese das Wurzelhaarwachstum erst sehr viel ab höheren Konzentrationen beein­flussen.

Dia [xx]. [DiaTH5  HNCO‑Übertragung] 38

Eine  chemisch  interessante  Reaktion trat bei der Umsetzung von N,N‑Diethyl‑O‑phenyl‑isoharnstoff  mit  Phenylisocyanat ein. Statt des erwarteten  Carbamoylisoharnstoffes  (Verbindung TH29 links auf dem Dia) erhielten  wir  bei  Umsetzungen  bei Raumtemperatur stets die um ein HNCO‑ Fragment reichere Verbindung TH24 (rechts).

Dia [xx]. [Dia Röntgenstruktur]   39

Die Strukturaufklärung dieser, in Form sehr regelmäßig gebauter monokliner Kristalle vorliegenden Verbindung, erfolgte mittels IR, NMR und der hier gezeigten Röntgenstrukturanalyse.

Gleichartige Produkte traten nur mit aminhomologer Verbindungen (N,N‑Dipropyl‑ und N,N‑Dibutyl‑O‑phenyl‑isoharnstoffen) bei glei­cher O-Phenylsubstitution mit Phenylisocyanat auf. Versuche ent­sprechende Produkte bei Isoharnstoffen mit veränderter Phenol­komponente, bei anderer Temperatur oder mit einem anderen Isocyanat zu erzielen, führten stets nur zu Carbamoylisoharnstoffen.

Die eigentlich Zielverbindung wie TH29 erhielten wir erst durch Umsetzung in absolutem Ether bei ‑60oC.

Dia [xx]. [DiaTH3 Reaktionsmechanismus 1.Teil] 40

Als Reaktionsmechanismus für die Bildung der Verbindungen nehmen wir einen viergliedrigen Übergangszustand an, aus dem beide durch Umlagerung, je nach thermischen Bedingungen, hervorgehen können. Bei ‑ 60oC kommt es durch Protonenwanderung und Bindungsumlagerung zum Carbamoylisoharnstoff.

Bei Raumtemperatur entsteht neben dem Hauptprodukt TH24 der Iso­harnstoff (TH30), dessen Bildung sich ebenfalls durch Umlagerung aus dem Übergangszustand erklären läßt.

Dia [xx]. [DiaTH4 Reaktionsmechanismus 2.Teil] 41 Im weiteren Verlauf des angenommenen Reaktionsmeachnismus reagiert die freie Isocyansäure mit einem Molekül Phenylisocyanat zum Phe­nylcarbamoylisocyanat. Die anschliessende Additionsreaktion  an den Isoharnstoff entspricht dem üblichen Reaktionsablauf.

Die Bildung des Isoharnstoffs TH24 konnte durch unabhängige Gegen­synthese auf literaturbekanntem Wege[xxvi] bewiesen werden[20]*.

Das Auftreten freier Isocyansäure konnte bisher nicht nachgewiesen werden, wir glauben allerdings, das Abfangversuche unter den Re­aktionsbedingungen auch äußerst problematisch sind.

Eine begrenzt vergleichbare Reaktion ist in der Literatur[xxvii] be­schrieben  worden: 

Dia [xx]. [DiaTH7  Triazinbildung] 42

Hier reagiert das Cyanatanion mit Isocyanat bei 75oC in DMF über die nicht isolierte Zwischenstufe des Phenylcarbamoylisocyanations zum entsprechendem 1,3-disubstituierten, nicht zum trisubstituier­ten Triazin. Diese bildet sich hingegen ohne Kaliumcyanatzusatz.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit bin ich am Ende meines Vortages.

 

 

Ich hoffe, daß ich Ihnen zeigen konnte, daß auch recht einfach gebaute Verbindungen noch interessante biologische und chemische Probleme zur Bearbeitung bieten. 

Abschließend bleibt nur noch meinen Mitarbeitern Herrn Jörg Heuer, Thomas Höppner und meiner technischen Assistentin Frau Sabine Jürgens für ihre Mitarbeit zu danken und Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.


Schriften

 



 [1] Lister 1867

 [2] "Transportformen 1.ter Art" sind in der Natur und bei syn­thetischen Arzneistoffen schon lange bekannt. So stellen die in verschiedenen Pflanzenarten vorkommenden Glucosinolate Lager- und Transportform für die mit breitem germicidem Wirkungsspektrum versehenen Isothiocyanate dar, die aus ihnen durch biochemische Prozesse hervorgehen.

 [3] Hydrolyse, Redoxvorgänge oder unspezifische Esterasen

 [4] z.B. Reizwirkungen und Unverträglichkeiten

 [5] Roth/Fenner "Arzneistoffe" S.185

 [6] von Halogen

 [7] an Doppelbindungen

 [8] Mikroliterpumpe 6-10 μl/min

 [9] ihrerseits über Grignardreaktion darstellbar

 [10] Mit Aminen in Benzol bei RT

 [11] Ein unterschiedliches Spaltungsverhalten durch den Wechsel von primärem zu sekundärem Amin war nicht zu beobachten.

Ohne Aminzusatz und gegen andere Nucleophile waren die Substanzen stabil.

 

 [12] Th.Kibbel, Diss. 1986

 [13] Nitril-Alkohol-gasf.HCl

 [14] Umlagerung zum N,N-disubstituierten Amid

 [15] Lepidum sativum

 [16] Die Dimroth Umlagerung wird üblicherweise als basisch katalysierte, thermisch ausgelöste Ringöffnungs- und Recyclisie­rungsreaktion mit dazwischenliegender Isomerisierung und "Platz­wechsel" zwischen Imino- und Aminofunktion beschrieben.

 

  [17] zu 4-Amino-dihydro-chinazolin-2-on

  [18]Die Übereinstimmung von Kraftfeldrechnungen (MM2) mit expe­rimentellen Werten bei einfachen Verbindungen /1/2/ (z.B. Alkane 1.8 J/Mol; Alkohole/Ether 2.1 KJ/Mol; Carbonyle 4.1J/Mol) ist sehr gut. Probleme könnten durch die Heteroatome entstehen. Diese ändern jedoch ihre Lage nicht,beteiligt sind nur Kohlenwasserstoffreste und der errechnete Energieunterschied ist ist erheblich größer als der Vertrauensbereich der Methode.

Semiempierische Methoden und gute "ab initio" wären besser, wir haben jedoch für beide keine Möglichkeiten.

 

/1/  U. Burkert/N.L.Allinger, Molecular Mechanics, ACS Monographie Series Washington C 1982

/2/  R.W. Kunz, Molecular Modelling für Anwender, Teubner Studien­bücher Chemie, Stuttgart 1991

  [19]a) mit elekrostatischen Termen: Elektrostat. WW durch Coulombpotential mit Gasteigerladung; b) Dipol-Dipol WW

  [20] aus N,N-Diethyl-2-chloroform-amidin mit Na-phenolat bei 0oC in Dioxan



[i].D. Martin, Synthetische Senfölbildner, Akademie Verlag Berlin 1962

[ii]. N. Kreutzkamp, Pharm.Ztg. 118 1103 (1971)

[iii]. P.G.Waser u. E.Sibler in Inovative Approaches in Drug Research, S.155 (1986).

[iv]. P.G.Waser/E.Sibler, Inovative Appr. in Drug Res., 155 (1986)

[v]. A.Munn, Isocyanates as health hazards, Ann.Occ.Hyg. 8,163    (1965)

[vi]. D. Martin, Synth. Senfölbildner, Akad. Verl. Berlin 1962

[vii]. A.Munn, Isocyanates as Healthhazards", Ann.Occup.Hyg. 8, 163 (1965)

[viii]. S.Petersen, Lieb. Ann. Chem. 562, 210 (1949)

[ix]. M.O.Lozinskii u. P.S.Pel'kis, Russ. Chem. Rev. 37, 363 (1968).

[x]. A.W.Hofmann, Ber.Dtsch.Chem.Ges. 15, 407 (1882)

[xi]. P.F.Wiley, J.Am.Soc. 71, 3746 (1949)

[xii]. H.Möhrle u. P.Spillmann, Tetrahedron 25, 5595 (1969);  26, 4895 1970)

[xiii]. W.Kiemstedt/W.Sundermayer, Chem. Ber. 115, 919 (1982)

[xiv]. B.S.Drach/J.Y.Dolgushina/A.D.Sinitsa/A.V.Kirisanov Zh.Obs. Khim. 42, 1240 (1972)

[xv]. Anmerk. zu A.Pinner, Ber. 23, 2923 (1890) im Houben-Weyl ist falsch

[xvi]. B.L.Zakharov, Zh.Org.Khim. 8, 31 (1972)

[xvii]. R.Roger u. D.G.Neilson, Chem.Rev. 61, 190 (1961)

[xviii]. L. Butula, Pharmazie, 33, 430 (1978).

[xix]. H.G. Schweim, Die Pharmazie, 44, 319 (1989).

[xx]. K.W. Breukink und P.E. Verkade, Recueil Trav. chim. Pays-Bas 79, 443 (1960).

[xxi]. E.C. Taylor u. R.V. Ravindranathan, J.org.Chem. 27, 2622 (1962)

[xxii]. D.J. Brown in Mech. of Mol. Migrations (Ed. B.S. Thyagarajan, Vol 1 (1968)

[xxiii].a) O-Alkylisoharnstoffe: E. Forman u.a. J.Org.Chem. 28, 2653 (1963); b) O-rylisoharnstoffe: E. Griget/ R.Pötter, Chem. Ber. 97, 3027 (1964)

[xxiv].Steglitz/McKee, a) Ber. 32, 1494 (1899) b) Am.Chem.Soc. 26, 209 (1901); c) 36, 208 (1906); 42, 1 (1909)

[xxv]. H.G.Schweim und K.Nagel, "Einfache Testsysteme zur Ermittlung der biologischen Wirkung von neuen Syntheseprodukten", Posterbei­trag zur 9. Wiss. Tagung
       der Österreichischen Pharm. Gesellschaft vom 28. - 30. 4. 1991 in Innsbruck. Sci. Pharm.
59, 64 (1991).

[xxvi]. E. Köhler, Angew. 81, 18 (1969)

[xxvii]. P.A. Argabright/B.L.Phillips, Tetrahedron Lett. 48, 5033 (1968)

 

Schriften