Schriften

Harald G. Schweim, DIMDI, Köln

Qualitätssicherung (1),(2) wissenschaftlicher Informationen in Datenbanken

Vortrag an der Universität Bonn am 02.12.98 Fassung vom 18.08.98

An der heutigen Informationsflut verzweifelten selbst Spezialisten, wenn sie denn alle Artikel lesen müßten. Weltweit gibt es heute (3) mehr als 70. 000 wissenschaftliche Fachzeitschriften, und täglich werden weitere gegründet. Orientierung bieten online-Dienste mit Literatur-Datenbanken. Sie registrieren Autoren, Titel, Schlagworte usw. nach vorgegebenen Regeln, die ein Wiederfinden der Information erleichtern sollen. Dabei ist die Bedeutung der Zugänglichkeit von verläßlichen Informationen zur wissenschaftlich basierten Entscheidungsfindung nicht nur für die Wissenschaft sondern auch für die Praxis ist evident. Aber auch diese Verzeichnisse sind unvollständig und die "Regeln" zur Aufnahme sind nahezu für jede Datenbank verschieden. Der internationale "Science Citation Index" (Datenbankabkürzung: SCISEARCH), eine der wichtigsten und größten Datenbanken, wertet z.B. nur rund 3.300 Fachpublikationen regelmäßig aus. Dabei ist schon die Auswahl für die Aufnahme eines Journals häufig äußerst subjektiv. US-amerikanische Neugründungen werden relativ problemlos aufgenommen, andere nur schwer. Gleiches gilt für die Herkunft der Autoren. (wohlgemerkt, publizierend in Englisch!). So nahm z.B. "Science" 1994 jede 5.US-amerikanische Arbeit, jede 6. Deutsche, jede 15. Japanische und jede 50. aus der Dritten Welt an.Gleichzeitig verstärkt sich in Zeiten knapper Mittel der Druck auf die Forscher und führt u.a. zu den bekannten Auswüchsen der gravierenden Forschungsfälschung(4),(5), oder auch vermeintliche Fälschung, dazu später mehr, auch in Deutschland(6),(7). Forschungsfälschung an sich ist dabei kein neues Phänomen, Galilei, Newton und Pasteur führen die illustre Liste(8),(9),(10) an.

(Kurzfassungen der bekannten Fakten im Anhang zum "hand-out").

Die Dimensionen durch den pekuniären Druck auf die Forscher und die Informationsgesellschaft sind allerdings neu. Die weitaus meisten in einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgewordenen Vorwürfe wissenschaftlicher Unredlichkeit sind allerdings in den USA erhoben (und zu einem kleineren Teil auch bestätigt) worden. Nur beispielhaft einige prominente der Fälschung bezichtigte (ob zu Recht oder Unrecht) Namen der 90er Jahre: Lohmann (Giessen) 1990; Baltimore, Medizin-Nobelpreis 1975, und Thereza Imanishi-Kari,(Tufts University) 1991; Zadel (Bonn) 1994; Fisher (Pittsburgh) 1995; McLachlan (Tulane) 1996; Herrmann und Marion Bracht (Ulm/Lübeck) 1997 und Schell und Reiß (MPI-Köln) 1998.

Der letzte Fall ist bemerkenswert, da die Max-Planck-Gesellschaft seit 1997(11) Richtlinien zum Umgang mit Fälschern und Betrügern hat, die hier erstmals angewendet werden mußten. Besonders interessant ist in Zusammenhang mit meinem Thema ist, dass bis heute nur 2 der 19 Journale, in denen Arbeiten von F. Herrmann und M. Bracht erschienen sind, Arbeiten zurückgezogen haben(12). Es sollen 47 Artikel mit veränderten oder gefälschten Daten bei ca. 400 "papers" insgesamt erschienen sein(13). Unsere eigenen Untersuchungen in dem DIMDI-Datenbankcluster XMED , das 21 Datenbanken(14) zur Humanmedizin enthält und etwa 90% der überhaupt in öffentlich zugänglichen Datenbanken verfügbaren Einträge abdeckt, ergaben, dass 20 Dokumentationseinträge (DE) von inkriminierter Arbeiten von Herrmann und Bracht erfolgten. In insgesamt 8 Fällen finden sich Hinweise auf fehlerhafte oder zurückgezogene Veröffentlichungen und zwar in

MEDLINE 8; in

CANCERLIT 3 ; in

EMBASE 2; in

ELSEVIER BIOBASE 1 und in

SCISEARCH 6.

Dies halte ich für gravierend, denn in wenigen Jahren, wenn die Angelegenheit in Vergessenheit geraten ist, werden vermutlich junge Wissenschaftler bei ihren Recherchen diese Arbeiten als "wahr" zitieren und versuchen auf den Ergebnissen aufzubauen. Pfeiffer und Snodgrass (15) zeigten 1990, dass 82 "gefälschte" und zurückgezogene Artikel, in der Folgezeit nach der Rücknahme 733 mal zur Unterstützung wissenschaftlicher Konzepte zitiert wurden. Dabei ergab sich keine Signifikant für unbekanntere Zeitschriften oder Herkunft der Autoren nach Länder und Sprachen. Pfeiffer und Snodgrass beklagten einen Mangel an Informationen über Zurückziehungen und mangelnde Aufmerksamkeit der Herausgeber. Nach meinem Wissen hat sich seit 1990 jedoch nur wenig geändert.Dabei verkenne ich nicht, dass bemerkenswerte Initiativen der Wissenschaft selbst erfolgt sind. So hat z.B. die Deutsche Forschungs-gemeinschaft eine Denkschrift " Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis"(16) herausgegeben, die sich in grund-gesetzlich abgesicherter deutscher Tradition vorrangig an die Wissenschaftler selbst wendet und auf Selbst-reinigungsmechanismen setzt, sondern die Journale und die aus ihnen resultierenden Datenbanken. Aber wie entscheide ich, ob die aufgefundenen Informationen relevant und vollständig sind? Wie finde ich bewertete Informationen, die mir Sicherheit bei Entscheidungen gibt ? Wie verhindere ich auf Forschungsfälschungen hereinzufallen? Nicht verkenenn darf man auch, dass nicht immer bewußtes Fälschen und niedere Beweggründe zu Fehlinformationen führen. Im Gegenteil, eigentlich ist die bewußte Fälschung die seltene Ausnahme, die meisten Wissenschaftler sind ehrlich und wahrhaftig. "Honest errors" überwiegen eindeutig. Genaue Zahlen über das Ausmaß von Fälschungen gibt es naturgemäß nicht. Um Ihnen einen Eindruck zu verschaffen, haben wir die Datenbanken MEDLINE, EMBASE und SCISEARCH der Jahre 1990-1998 (bis zum 21.07.98) ausgewertet.

In dieser Zeit wurden 13.255.468 Dokumentationseinträge (DE) vorgenommen. Mit relevanten Schlagworten (controled terms, [CT] "Retraction" und Verwandte) findet man 1400 DE, also rd. 0,01%. Gleichzeitig wurden aber 49.822 "Corrections", also üblicherweise Druckfehlerberichtigungen vorgenommen, rd. 0,4%. Die Chance einer Fehlinformation durch Druckfehler zu Fälschung auzusitzen ist also auf den ersten Blick schon 40: 1.

Das Stichwort "Fälschungen" (CT "Fraud" und Verwandte) ergeben (13.08.98) 10.573 DE, mit 0,08% im ersten Moment erschreckend. Aber dies spiegelt nur die Bedeutung des Themas für die Wissenschaft wieder, hierin sind vor allem Artikel enthalten, die sich mit dem Thema beschäftigen, nicht alle diese Einträge sind "Fälschungen". Daraus die "erkannten Fälschungen" zu extrahieren ist extrem aufwendig und erfordert viel Handarbeit. Wir identifizierten nach Elemination der Duplikate 51 "erkannte Fälschungen" (0,0004%). Die Dunkelziffer der nicht erkannten Fälschungen zu schätzen überlasse ich Ihnen. Als Anhaltspunkt aus der Kriminalistik : Faktoren zwischen 10 - 1000 sind denkbar.

Es ist also festzustellen, dass "echte Fälschungen" im Vergleich zu "sonstigen Fehlinformationen" selten sind. Ein Sonderproblem sind die sogenannten "kleinen Nickeligkeiten". So wird im Methodenteil ein Lösungsmittel "verwechselt", der pH - Wert etwas "korrigiert", ein Schmelzpunkt "hochgeschätzt" und vieles mehr. Auch Doktorväter sollen so etwas schon erlebt haben, wenn sie Arbeiten ihrer Doktorranden nacharbeiten lassen mußten. Bestenfalls dient dies einer "Nachkochverhinderungsstrategie", schlimmstenfalls ist es einfach Betrug. Aus der Vielzahl der weiteren Probleme der nicht bewußten, dennoch fatalen Fehlinformationen nur beispielhaft einige: Das Problem des bias (Verzerrung; wörtlich: Neigung, Voreingenommenheit). Das Problem wird in der Fachliteratur schon lange diskutiert(17), allerdings mit nicht immer einheitlicher Bewertung. Den wohl peinlichsten neueren bias beschreiben H.T. Stelfox et al.(18) 1998. Die Gruppe verglich Autoren, die den Einsatz von Calciumantagonisten a) unterstützen, mit solchen, die dem Einsatz b) neutral c) kritisch gegenüberstehen.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von

a) 96% (Unterstützer) zu

b) 60% (Neutrale) zu

c) 37% (Kritiker)

stehen diese in einer finanziellen Beziehung zu einem Pharmaunternehmen.

Der Volksmund kennt ein Sprichwort: Wes' Brot ich ess' des Lied ich sing'. Den english-language bias habe ich schon Eingangs beleuchtet, ob man es wahr haben will oder nicht, die lingua franca der Wissenschaft ist Englisch, man muß es lesen und schreiben, sonst ist man ausgeschlossen. Dies sollte schon in der Ausbildung des Nachwuchses berücksichtigt werden. Dennoch ist festzuhalten, dass nicht-englische Veröffentlichungen einfach nicht gelesen, im schlimmsten Falle Ergebnisse Jahre später als "neu" auf Englisch publiziert werden. Weiterhin ist der publication-bias, d.h. die Erscheinung, dass positive Ergebnisse grundsätzlich wesentlich häufiger als negative veröffentlicht werden zu berücksichtigen. Zusätzlich werden erstere renommierten Journalen (damit mit höherem Impact-Faktor) zuerst angeboten. Dies hängt auch damit zusammen, dass erwartete, die Annahmen des Autors bestätigende Ergebnisse, von ihm leichter und besser dargestellt werden als nicht-erwartete. Auch ist es schwerer die Sicherheit eines Nicht-Ereignisses zu beweisen als ein Ereignis zu beschreiben. Wissenschaftlich Erkenntnis setzt sich zu langsam durch. Auch eigentlich vorhandene Informationen werden nicht adäquat genutzt, z.B. weil sie "verstreut" vorliegen und eine Gesamtschau fehlt.. Beispiel: Anfang der 70er Jahre war nicht klar, wie sich die Corticosteroid-Therapie bei drohender Frühgeburt auf die Überlebenswahrscheinlichkeit des Kindes auswirkt. Erst 1989 wurde der positive Nachweis in einer auf sieben klinischen Studien aus den 70ern basierenden Übersichtsarbeit geführt und unter Einschluß der weiteren, zwischenzeitlich erschienenen Studien, konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit eines Frühgeborenen zu sterben durch eine Kortikosteriodgabe an die Mutter um 30%-50% reduziert wird. Diese verzögerte Erkenntnis hat vermutlich zu einer beträchtlichen Zahl von Todesfällen bei Frühgeboren geführt, die hätten verhindert werden können(19). Metaanalysen in allgemein zugänglichen Datenquellen können also ein Weg zur schnelleren Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis sein. Wissenschaftlich Erkenntnis wird über- oder fehlbewertet(20). Ich möchte dies am Beispiel "Pille der dritten Generation" mit einer Zusammenstellung gekürzter Pressemeldungen verdeutlichen. Dabei wähle ich bewusst eine Thema, dass so breit fachöffentlich diskutiert wurde, das jeder die Fakten kennt. Bei weniger populären Themen wäre die Gefahr, auf die ich hinweisen möchte aber viel größer.

Schaut man z.B. nur in das Archiv der Bundesgesundheitsinstitute (BGI), Nachfolgeinstitute des BGA so findet man die

Pressemeldungen (I)(21): Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat mit Bescheid vom 31.1.1997 die erstmals im November 1995 angeordneten Anwendungsbeschränkungen für orale Kontrazeptiva der sog. dritten Generation erneut bestätigt. Dies bedeutet, dass orale Kontrazeptiva der dritten Generation weiterhin nicht für Frauen unter 30 Jahren, wenn sie erstmalig die "Pille" einnehmen wollen, verordnet werden dürfen". Im Archiv der Pharmazeutischen Zeitung (PZ) findet man die

Pressemeldung (II)(22): Dr. Kenn MacRae, (London) erkärte, die Daten der epidemiologischen Studien, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Berlin bewogen haben, an den Anwendungsbeschränkungen für orale Kontrazeptiva der dritten Generation festzuhalten, seien "mit äußerster Vorsicht zu behandeln". Es gebe keine Kausalzusammenhänge, "die die Schlüsse rechtfertigten". "Man hat es mit einem klassischen Beispiel dafür zu tun, wie epidemiologische Daten fehlinterpretiert (systematische Fehler, Zufalls- und Störfaktoren) werden können". "Die Verunsicherung junger Frauen und Mädchen und die Zunahme der Abtreibungen als Folge der Diskussion" beklagte Dr. Iris Grützmacher, Bielefeld.

In verschiedenen Agentur-Datenbanken findet man die

Pressemeldungen (III-V):

"Berliner Verwaltungsgericht(23): Alle empfängnisverhütenden "Pillen" dürfen auch an Erstanwenderinnen verschrieben werden. Ärzte haben nun wieder die uneingeschränkte Möglichkeit, das für Ihre Patienten individuell am besten geeignete Präparat auszuwählen"(24).

Nach Auffassung des Gerichts(25) hat das BfArM wissenschaftlichen Informationen fehl- und überbewertet. Entscheidend war dabei offensichtlich, dass die Forscher selbst ihre Ergebnisse im Prozeß als nicht im vom BfArM verwendeten Sinne nutzbar erklärt haben.

Schlußmeldung: Ärzte begrüßen die Freigabe der'Minipille'(26).

Ohne umfangreiche Recherche wäre es also möglich, auf dem Stand der Meldung I zu verbleiben. Dieser Typ "Fehlinformationen" ist besonders problematisch, da alle Fachleute im BfArM mit Sicherheit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben und niemandem bewußtes Fehlverhalten anzulasten ist. In den Datenbanken und durch Zeitablauf gewinnen aber solche Ereignisse eigenes Gewicht. Vor der Klärung der Situation der "echten" Forschungsfälschung in den Datenbanken sollen die Verhältnisse in anderen Ländern(27) und ggf. staatlichen Einflussnahmen in Fälschungsfällen erläutert werden

1.USA:

Die USA haben mit dem Office of Research Integrity (ORI) staatliche Kontrollmechanismen für alle Forscher, die vom Deparment of Health and Human Services (HHS) unterstützt werden, eingerichtet(28). Aufgrund der Besonderheiten der Finanzierungsstruktur der akademischen Forschung in den USA war bei sämtlichen Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die seit dem Ende der 70er Jahre bis heute öffentlich diskutiert worden sind, mindestens eine der beiden großen nationalen Förderungsorganisationen involviert. Dies sind die National Science Foundation (NSF), die seit 1950 mit einem Jahresetat von derzeit rund 4 Milliarden Dollar Forschung fördert. Sie ist eine selbständige Bundesbehörde. Sowie die National Institutes of Health (NIH), deren Anfänge bis ins Jahr 1888 zurückgehen. Sie betreiben in 13 eigenen Instituten biologische und medizinische Forschung, sind zugleich mit derzeit rd. 11 Milliarden Dollar die größte Forschungsförderungsorganisation der Welt. Sie sind eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Department of Health and Human Services (DHHS). Die NSF (1987) und die NIH (1989) haben ähnliche, aber nicht identische Definitionen von "scientific misconduct" und Regeln zum Umgang damit veröffentlicht. Sie sind für alle Institutionen bindend, die Fördermittel in Anspruch nehmen. Diese müssen nachweisen, dass sie ein internes Verfahren etabliert haben, wie mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens umgegangen wird. Die Verantwortung für die Behandlung von Vorwürfen liegt bei den Universitäten (Forschungsinstituten, Unternehmen etc.). Das überwiegend angewandte Verfahren, nach von der Association of American Universities entwickelten Regeln, ist zweistufig:

1. In einer informellen Voruntersuchung (inquiry) wird geklärt, ob Anlaß besteht, eine

2. förmliche Untersuchung (investigation) , meist in der Verantwortung zentraler Universitätsorgane organisiert, einzuleiten. Anschließend wird eine Entscheidung getroffen, ob und gegebenenfalls welche Sanktionen (in der Spannweite von Abmahnung bis Entlassung) verhängt werden. In diesem Stadium hat der/die Beschuldigte in der Regel das Recht auf anwaltlichen Rat. Sowohl NSF als auch NIH verlangen, daß ihnen Beginn und Abschluß jeder förmlichen Untersuchung, bei der Projektmittel von ihnen involviert sind, angezeigt wird. Zuständig ist bei der NSF der Inspector General, der unmittelbar dem National Science Board als Aufsichtsgremium untersteht. Für die NIH wird das Office of Research Integrity (ORI) tätig, eine im Department of Health and Human Services (dem vorgesetzten Ministerium) angesiedelte Behörde. OIG und ORI können das Verfahren an sich ziehen oder nach dessen Abschluß eigene Ermittlungen veranstalten. Das ORI hat für die zuständigen Stellen der Institutionen, die Mittel der NIH verwalten, einen detaillierten Leitfaden entwickelt, wie mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens umzugehen ist(29). Nach Abschluß des inneruniversitären Verfahrens befinden das ORI und das OIG jeweils über die ihrerseits zu verhängenden Sanktionen. Während das ORI hier selbst tätig wird (gegen seine Maßnahmen ist ein Berufungsverfahren zu einem Departmental Appeals Board im DHHS möglich), unterbreitet das OIG dem Deputy Director der NSF zusammen mit dem Untersuchungsbericht einen Vorschlag, der dort unabhängig geprüft wird, ehe Sanktionen angekündigt und dann gegebenenfalls verhängt werden. Sanktionen können beispielsweise

Ausschluß von der Antragsberechtigung (auch auf Zeit),

Ausschluß aus den Gutachtergremien,

Auflagen für die Antragstellung, (typischerweise Aufsichtspflichten) oder der

Verpflichtung, bestimmte Publikationen zurückzuziehen oder zu korrigieren, sein.

OIG und ORI veröffentlichen regelmäßige Tätigkeitsberichte.

Danach werden Sanktionen in einer Bandbreite zwischen 10 und 50 Prozent aller Fälle verhängt, und zwar fast immer in Form einer freiwilligen Übereinkunft. In einem sehr spektakulären Fall sprach das Departmental Appeals Board Mitte 1996 - zehn Jahre nach Bekanntwerden der Vorwürfe - eine beschuldigte Wissenschaftlerin frei. Eine eingehende Diskussion galt und gilt in den USA der Definition von "scientific misconduct". Wissenschaftlichen Fehlverhaltens macht sich nach der übereinstimmenden Definiton der NIH und der NSF schuldig, wer bei der Antragstellung auf Mittel, in der Durchführung oder in Berichten über Ergebnisse von der jeweiligen Institution finanzierter Arbeiten Tatsachen frei erfindet oder fälscht oder fremdes geistiges Eigentum plagiiert oder in anderer Weise von der allgemein akzeptierten Praxis wissenschaftlicher Arbeit in schwerwiegender Weise abweicht. Bei der NSF folgt hierauf noch eine Schutzklausel für gutgläubige Informanten. Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem US-amerikanischen System in Deutschland ist insbesondere die Unbestimmtheit der Klausel "oder in anderer Weise ... in schwerwiegender Weise abweicht". Dagegen wird mit der Gefahr von Behördenwillkür, verfassungsrechtlich mit dem Bestimmtheitsgebot, und sachlogisch mit der Forderung, eine Definition wissenschaftlichen Fehlverhaltens müsse sich auf Verstöße gegen Grundregeln des Wissenschaftssystems beschränken und nicht Tatbestände von Fehlverhalten einschließen, die bereits anderweitig rechtlich sanktioniert sind, argumentiert. Dafür wird angeführt, dass die Definitionen gerade in diesem Punkt besonders wissenschaftsnah seien, da sie sich auf (ggf. fachspezifische) Normen der jeweiligen wissenschaftlichen Gemeinschaft stützen. Der Standpunkt der NSF ist, die gravierende Abweichung von den Normen korrekter wissenschaftlicher Arbeit sei der Kern der Definition, die genannten Tatbestände seien lediglich (empirisch am häufigsten belegte) Beispiele dafür. Eine Beschränkung auf Fabrikation von Resultaten, Fälschung, Plagiat (FFP) sei legalistisch, treffe einige gravierende Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens (z.B. Indiskretion eines Gutachters) nicht und verschiebe im übrigen das Problem lediglich auf die Definition der Einzelbestandteile von FFP. Es bleibt anzumerken, daß die Unbestimmtheit der Definition in den USA, soweit bekannt, bislang in der Anwendung nicht zu Kontroversen geführt hat, im Gegensatz zu teilweise massiver Kritik an der konkreten Untersuchungs- und Spruchpraxis des ORI. Die kanadischen Forschungsförderungsorganisationen haben im Jahr 1994 in einer gemeinsamen Erklärung ähnliche, aber weniger detailliert formulierte Grundsätze beschlossen, wie sie in den USA gelten.

2. Dänemark

Als erstes europäisches Land hat Dänemark im Jahr 1992 auf Initiative des Dänischen Medizinischen Forschungsrates (DMRC) ein nationales Gremium zur Behandlung von Vorwürfen wissenschaftlicher Unredlichkeit (scientific dishonesty) gebildet (Danish Committee on Scientific Dishonesty, DCSD(30)). Die Einsetzung folgte Empfehlungen einer Arbeitsgruppe des DMRC, die sich ausführlich mit den Ursachen, der Phänomenologie und den Folgen von wissenschaftlicher Unredlichkeit befaßt hat. Ähnlich wie die National Science Foundation sieht die Arbeitsgruppe den Kern wissenschaftlicher Unredlichkeit in der Absicht, andere zu täuschen. Als Beispiele für Tatbestände, die eine förmliche Untersuchung grundsätzlich rechtfertigen oder erfordern, nennt sie absichtliche Fälle der Erfindung von Ergebnissen (fabrication of data), selektiven Ausblendens und Verschweigens 'unerwünschter' Ergebnisse und ihrer Substitution durch erfundene Ergebnisse, mißbräuchlicher Anwendung statistischer Verfahren in der Absicht, Daten in ungerechtfertigter Weise zu interpretieren, verzerrter Interpretation von Ergebnissen und ungerechtfertigter Schlußfolgerungen, des Plagiats fremder Ergebnisse oder Veröffentlichungen, verzerrter Wiedergabe fremder Forschungsergebnisse, falscher oder ungerechtfertigter Zuweisung von Autorschaft, von Irreführung in Förderungsanträgen oder Bewerbungen.

Als Beispiele für Tatbestände minderen Schweregrads nennt die Arbeitsgruppe nicht offengelegte Mehrfachveröffentlichungen und andere Formen der 'Wattierung' von Publikationslisten, Bekanntgabe von Forschungsergebnissen an die Laienöffentlichkeit vor der regelgerechten Veröffentlichung im wissenschaftlichen Schrifttum, Nichterwähnung früherer Beobachtungen anderer Forscher, Nichtberücksichtigung von Mitarbeitern als Mitautoren trotz ihrer Beiträge zu einer Veröffentlichung. In diesem Zusammenhang diskutiert die Arbeitsgruppe auch Schnittmengen der betrachteten Tatbestände zu strafrechtlichen (Betrug, Urkundenfälschung) oder zivilrechtlichen (Plagiat) Delikten. Das DCSD hat den zuerst genannten Katalog von Tatbeständen (ausdrücklich als nicht abschließend gekennzeichnet) im wesentlichen in seine Statuten übernommen. Hauptaufgabe ist die Tatsachenaufklärung der ihm vorgelegten Vorwürfe, wobei über jeden abgeschlossenen Fall ein Bericht verfaßt wird. Strafrechtlich relevante Fälle werden an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben. In anderen Fällen kann das Komitee den beteiligten Personen und Institutionen Empfehlungen geben. Das Komitee und seine Mitglieder sehen sich außerdem verpflichtet, sich in Vorträgen und Publikationen für Prinzipien der "good scientific practice" einzusetzen. Das DCSD ist Vorbild für großenteils analoge, aber weniger detailliert ausgearbeitete Regelungen in den anderen skandinavischen Ländern geworden.

3. Großbritannien

Ähnlich wie in Dänemark hat in Großbritannien der Medical Research Council (MRC) - soweit bekannt - als erste Institution die Initiative ergriffen, Regeln für korrektes wissenschaftliches Verhalten zu veröffentlichen und Regeln für den Umgang mit Vorwürfen von Fehlverhalten zu kodifizieren. Der MRC, gegründet 1913, betreibt biologische und medizinische Forschung in eigenen Research Units und fördert auf Antrag medizinische Forschungsvorhaben in Universitäten. Er erwartet von seinen Instituten ebenso wie von den geförderten Institutionen, daß Verhaltensregeln formuliert und bekanntgegeben werden. Dafür hat er neben den genannten allgemeinen Richtlinien Empfehlungen zu verschiedenen medizinethischen Fragen - so z.B. zur Forschung mit nicht entscheidungsfähigen Personen - veröffentlicht. Die Richtlinien des MRC hatten maßgeblichen Einfluß auf eine Entschließung der European Medical Research Councils, eines ständigen Ausschusses der European Science Foundation, zum Thema "Misconduct in Medical Research" . Anders als in Dänemark erwartet der MRC, dass Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens (so wie in den USA) in den einzelnen betroffenen Institutionen behandelt werden. Sein Regelwerk sieht ein dreistufiges Verfahren vor, dessen erste Stufe die Unterrichtung des/der Beschuldigten über die Vorwürfe mit Gelegenheit zur Stellungnahme bildet. Das Verfahren folgt im übrigen den bereits dargelegten Grundsätzen, die in den meisten amerikanischen Institutionen gelten. Sanktionen reichen von der Versetzung aus dem Projekt, in dem Fehlverhalten beobachtet wurde, über eine dienstliche Abmahnung bis zur fristlosen Entlassung. Wie in den USA, so ist auch beim MRC eine Berufungsinstanz in Gestalt eines Ausschusses vorgesehen, der vom Executive Director des MRC eingesetzt wird.

Die Praxis der Datenbank Hersteller zum Umgang mit Forschungsfälschungen Dieses Kapitel ist bisher äußerst düster. Nach unseren Recherchen liegen öffentlich zugängliche Beschreibungen der Vorgehensweise nur von der National Library of Medcin (NLM) vor(31),(32),(33).

Bedeutung der Rechtsfrage

Von erheblicher Bedeutung ist die Frage: "Wer das Recht hat, eine Publikation zurückzuziehen". Viele Journale billigen dieses nur den Autoren zu. Wenn diese nicht handeln, begründen die Verlage damit ihre Untätigkeit. Die Datenbankhersteller ihrerseits ziehen sich dann auf die Verlage als zuständig zurück. Aus meiner Sicht verhält sich die National Library of Medicine der USA (NLM) in diesem Fall vorbildlich. Zum Eingreifen berechtigt sind nach den NLM-Regel der oder die Autor(en), wissenschaftliche Einrichtungen (Dienstherr) und institutionelle Sponsoren (Finanzträger) der Autoren sowie Herausgeber und Verleger der Journale. Die Artikel bleiben in den Datenbanken erhalten, werden aber eindeutig gekennzeichnet. Die Vorgehensweise der NLM zur Kennzeichnung von Forschungsfälschungen Gekennzeichnet werden: "Errata", ""Retraction", "Duplicate Publication", und "Comments". Im Falle der Zurückziehung von Publikationen verbleiben inkriminierte "Alt"-Dokumentationseinheiten in der Datenbank und werden

im Titel mit "Retracted" und

im Feld DocumentType (DT) mit "Retracted Publication"gekennzeichnet.

Neue, korrigierende Dokumentationseinheiten werden

im Titel mit "Retraction of ..." und

im Feld DT mit "Retraction of Publication" gekennzeichnet.

 

Eigene Untersuchungen zu zurückgezogenen Publikationen

Vergleichssuchen in unserer Superbase-Gruppe XMED zu 19 von der NLM vom 22.05.1997 - 14.05.1998(34) wegen nicht-reproduzierbarer bzw. nicht belegter Ergebnisse oder nachgewiesenem wissenschaftlichem Fehlverhalten durch Berechtigte zurückgezogenen Dokumentationseinheiten zeigen, dass leider auch bei der NLM Anspruch und Umsetzung auseinanderklaffen. So sind in MEDLINE von den Alt-Dokumentationseinheiten derzeit nur 5 im Titel mit "Retracted" und gleichzeitig 4 davon im Feld Document Type mit "Retracted Publication" gekennzeichnet. In einem Fall ("withdrawn at..") sind korrigiertes und korrigierendes Dokument identisch. Insgesamt sind also entgegen den selbstverhängten Regeln 14 von 19 Dokumenten derzeit nicht gekennzeichnet. In CANCERLIT (DB-Hersteller NLM) sind z. Z. nur 3 von den nur 14 vorhandenen Alt-Dokumentationseinheiten entsprechend gekennzeichnet. Weiter fällt auf, dass in CANCERLIT zu den 14 vorhandenen Alt-Dokumentationseinheiten noch keine korrigierenden Dokumentationseinheiten (mit der Angabe "Retraction of....") wie in MEDLINE vorhanden sind. Dies dürfte evtl. mit der weniger häufigen und ggf. späteren Aktualisierung von CANCERLIT im Vergleich zu MEDLINE zusammenhängen. Insgesamt sind hier also 11 von 14 Dokumenten nicht gekennzeichnet. Es ist nur zu hoffen, dass die NLM ihre eigenen Vorgaben und Ansprüche in den nächsten updates der Datenbanken die erfüllt.

Andere Datenbankhersteller

Von den uns bekannten Datenbankherstellern (das sind im Bereich der Medizin und ihrer Randgebiete sicher über 90%) liegen mir keine öffentlich zugängliche Beschreibungen der Vorgehensweise bei "Fälschungen" vor. Unsere Recherchen haben aber gezeigt, dass dennoch in BIOSIS PREVIEWS, EMBASE, ELSEVIER, BIOBASE und SCISEARCH korrigierende Dokumentationseinheiten, vergleichbar mit den NLM-Retractions, vorhanden sind.In unserer Vergleichsuntersuchung sind in BIOSIS PREVIEWS 15 der inkriminierten 19 Dokumente vorhanden, davon 4 gekennzeichnet und 11 nicht. Als besonderes "Schmankerl" sind die 4 doppelt vorhanden, einmal gekennzeichnet, einmal nicht. In keiner weiteren Datenbank sind Kennzeichnungen vorhanden. Die Gegenüberstellung der Zahlen Zahlen der Dokumente ergibt: (Gesamtzahl Dokumente /vorhandenene Dokumente /gekennzeichnete Dokumente):

EMBASE (19/15/0);

ELSEVIER BIOBASE (19/11/0);

SCISEARCH (19/16/0).

In den Datenbanken SOMED (19/1/0), Derwent Drug File (19/2/0) und CAB-HEALTH (19/1/0) ist die Situation nicht so gravierend, da diese nur wenige der inkriminierten Dokumente enthalten. Die Kritik daran, dass sie überhaupt so wenige enthalten, bleibt davon unberührt. Interessanterweise gibt es in den "Nullsummen" BIOSIS PREVIEWS, EMBASE, ELSEVIER BIOBASE und SCISEARCH aber korrigierende Neu-Publikationen zu den 19 Beispieldokumente, die sich über die controlled terms "ereatum" und "error" oder den Dokument-typ "Erratum" oder "Correction Edition"erschließen lassen. Dies ist wieder einmal ein Beweis dafür, dass es lohnt gut recherchieren zu können. So verbessert sich die "Erfolgsquote" auf: BIOSIS PREVIEWS(19/15/8); EMBASE (19/15/8); ELSEVIER BIOBASE (19/11/7); SCISEARCH (19/16/17). Das letzt, an sich unmögliche Ergebnis ist dadurch zu erklären, dass ein "Retraction-Notice"-Dokument zu einem nicht vorhandenen beanstandeten Dokument vorhanden ist. Insgesamt finde ich das Bild dennoch katastrophal und hätte, vorab gefragt, ein besseres Ergebnis erwartet. Bevor ich zu meinen Vorschlägen zur Veränderung der Situation komme, ein abschreckendes Beispiel wie sich vorschnelle Verurteilung und voreiliges Handel bei angeblichen Fälschern auswirken kann. Beispielhaft für die Probleme einer Falschanschuldigung als Fälscher möchte ich den Fall von Prof. Bernhard Fisher(35) anführen

Der Fall Bernhard Fisher

Fischer war Mitbegründer des National Surgical Brest and Bowel Projects (NSBABP) und 30 Jahre ein weltweit führender Brustkrebsforscher. In über 100 Papers sind seine Arbeiten zum Therapie-Regime niedergelegt, das zahllosen Patientinnen das Leben gerettet hat. Seine Arbeit wurde u.a. mit dem renommierten Lasker-Preis gewürdigt. 1994 wurde er der Forschungsfälschung durch Journalisten der Chicago Tribune bezichtigt, einige hundert ungeeignete Patientinnen sollten in eine große, multinationale Studie einbezogen worden sein. Fischer wurde vom National Cancer Institut (NCI) an NSBABP-Direktor abberufen. Die NLM entschloß sich unter den Druck des NCI, die Artikel des NSBABP mit dem Vermerk "scientific misconduct" in ihren Datenbanken zu kennzeichnen. Fisher klagte dagegen und gewann den Prozess etwa ein Jahr später. Die NLM sah sich aber außer Stande, die Folgen ihres Handels wieder "einzufangen", insbesondere weil aus MEDLINE und anderen NLM-Datenbanken abgeleitete Sekundärprodukte (z.B. Firmendatenbanken) nicht erreichbar oder gar der NML unbekannt seien. Der Schaden für die Reputation und die Arbeit Fischers war nicht wieder gut zu machen. Interessanterweise setzt E. Garfield (siehe Lit.) in diesem Fall auf "eine heilende Wirkung des Internets für die Zukunft". Er glaubt, dass in ähnlichen zukünftigen Fällen. auf diesem Wege die Rehabilitationsnachricht mehr Menschen erreichen wird. Die inkriminierten Daten waren von einer kanadischen Arbeitsgruppe zugeliefert worden, es wurde 1997 (zwei Jahre und neun Monate nach der Anschuldigung) in der obligatorischen Untersuchung des Office of Research Integrity geklärt, dass Fisher keine Schuld traf. Der Fall beweist m.E., dass eine erhebliche Sorgfaltspflicht besteht, um nicht großen Schden anzurichten. In meinen Vorschlägen für die Zukunft möchte ich daher besonders Augenmerk auf die Prävention von Forschungsfälschungen mit datenbanktechnischer Hilfe lenken und erst in zweiter Linie auf Maßnahmen der Kennzeichnung von Falsifikaten.

 

Vorschläge für die Zukunft

1. Hinterlegungsdatenbanken auch für negative Ergebnisse (Daten)

Stellen wir uns einen Augenblick vor, die Contergan-Katastrophe wäre nicht eingetreten, weil die Entwickler rechtzeitig das Mißbildungsrisiko erkannt hätten. Nach gängiger Praxis hätte die Wissenschaft(36) davon nichts erfahren, die Studie(37) wäre vermutlich unpubliziert geblieben. Und zwanzig Jahre später wäre die Potenz des Produktes von anderen Wissenschaftlern auf der Suche nach anti-leprös wirkenden Stoffen erkannt worden. Diese hätten aber das Mißbildungspotential nicht berücksichtigt, wegen der Nicht-Veröffentlichung der früheren Studie. Eine wichtige Forderung muß also sein, dass einen Weg gefunden wird, alle Studien in einer Datenbank zu erfassen, ob positiv oder negativ. Hierbei müssen die berechtigten Interessen, in der Regel Pharmahersteller, die nahezu 90% aller Studien veranlassen und bezahlen, auf Schutz ihres geistigen Eigentums an den Studien, mit dem Anspruch der Gesellschaft auf Arzneimittelsicherheit in Einklang gebracht werden. Da alle Studien am Menschen in Deutschland, und die meisten anderen Länder haben ähnliche Systeme, über Ethik-Kommissionen und Hinterlegungen beim BfArM angemeldet werden wäre für mich hier eine Institutionalisierung denkbar. Dauerhaft und umfassend wäre dies natürlich nur über internationale Vereinbarungen, z.B. im Rahmen der International Conference of Harmonisation (ICH) zu lösen, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen für die Pharmaindustrie kommt.

2. Forderung an die Journale

Eine wichtige Änderung der Verhaltensweisen der Journale und der "scientific community" muß daher darauf zielen, hier Korrekturmechanismen zu entwickeln. Entscheidend sind hierbei Korrekturen in den Datenbanken zur Literaturerschließung. Ein erster Ansatz ist das von führenden Journalen gegründete Committee on Publication Ethics (COPE)(38) das u.a. den Datenaustausch zwischen den Journalen förden soll, damit abgelehnte Arbeiten nicht auf "Rundreise" gehen.

3. Einführung von formalisierten Mindeststandards

Veröffentlichungen in führenden Journalen durchlaufen derzeit meist einen sogn. peer-review-Prozesses, d.h. Fachleute beurteilen die Qualität der vorgelegten Arbeit. Dieses, seit Jahrzehnten bewährte Verfahren ist durch die "Herrmann-Ereignisse" in Verruf geraten. Einerseits, weil die wissenschaftliche Kontrolle in diesen Fällen versagt hatte, mindestens 7 Gutachtergruppen mit renommierten Mitgliedern wurden getäuscht(39), andererseits weil Herr Herrmann seinerseits als "peer" tätig war und andere beurteilte, einige sagen auch dabei geistig bestohlen, hat. Auch die jüngsten DFG-Vorschläge(40) formulieren "eher einen Anspruch den die Wirklichkeit"(41). Zusätzlich kommt das Problem der schieren Zahl an zu beurteilenden Arbeiten, das kaum noch beherrschbar ist und das "peers" von der eigen Arbeit abhält ("peer" zu sein ist eine Ehre und erfolgt meist um "Gotteslohn"). Hier müssen aus meiner Sicht daher stärkere Formalisierungen helfen. Abhilfe könnten die Entwicklung von Standards, wie sie in Teilbereichen der Medizin mit dem "CONSORT"- Statement(42) zur Darstellung randomisierter klinischer Studien gefunden wurden, bieten. Zusätzlich muß die Qualität von Abstracts, insbesondere Autor-Abstract angehoben werden. Hier würde sich die verpflichtende Verwendung von "controled terms"- Verschlagwortungen(43), die dann auch so in die großen Datenbanken übernommen werden könnten, anbieten. Zusätzlicher Nebeneffekt wäre, dass Erfassungsfehler minimiert werden könnten. Auch die Vorlage einer umfassenden DB-Recherche zum Thema, die den Neuheitswert der Arbeit belegt, müßte zwingend mit der Einreichung vorgeschrieben und in einer Datenbank öffentlich zugänglich werden. Vielfach würden sich, in Analogie zum Vorgehen der Röntgenstrukturanalytiker, Hinterlegungen experimenteller Daten in Datenbanken anbieten. Keine Röntgenstrukturanalyse wird von einem renommierten Journal(44),(45) angenommen, die nicht in der Brookhaven Database hinterlegt wurde, die Hinterlegung ist nachzuweisen. Zusätzlicher Nebeneffekt könnte sein, dass die experimentellen Daten wieder nachvollziehbar werden und nicht nur (meist aus Gründen der Platzersparnis) nicht nacharbeitbar sind.

Zitat

"Structure-factor lists will not be published.....data should be deposited with a database: Data should be sent by
e-mail to the Cambridge Crystallographic Data Centre (CCDC)."

Eine Publikation, die den zu entwickelnden Standards und Hinterlegungen nicht genügt, darf von einer seriösen Zeitung nicht angenommen werden.

4. Besserer Zugang zu Originalpublikationen im Volltext in Datenbanken

Die wesentliche Hinderung in dieser Frage scheint mir die Frage der Urheberrechte (insbesondere in Deutschland) im Informationszeitalter zu sein. Einerseits gibt es berechtigte Interessen der Verlage zum Absatz ihrer Journale, andererseits müssen heutzutage Publikationen im Original und schnell elektronisch verfügbar sein; in der Medizin nicht zuletzt aus Gründen des Patientenschutzes. Ansätze hierzu gibt es durch die Verlage selbst, allerdings ist diese Recherche in den Einzeldatenbeständen mühsam und führt zu unvollständigen Ergebnissen, ganz abgesehen davon, dass die Zahl der verfügbaren Jahrgänge, Journale usw. meist sehr beschränkt ist. Da die meisten Wissenschaftler ohnehin die Journale nur über Bibliotheken lesen (es gibt kaum Einzel-Abonnenten) schiene mir eine Vereinbarung mit den Bibliotheken und eine GEMA-Lösung als denkbar, d.h. direkte Lizenzzahlungen für Datenträger, wie sie in der Musikbranche für Tonträger und Geräte seit Jahren üblich sind. Technisch sind derartige Datenbestände auch mit Multimedia-Anteilen heute kein Problem mehr. Ich bin überzeugt, dass unter komfortablen Bedingungen die Originalarbeiten auch wieder mehr gelesen würden und eine zusätzliche Fehlerquelle, Entscheidung nur nach Kenntnis des abstracts, seltener würde. Einen sehr bescheidenen Beitrag dazu leistet das DIMDI durch das Angebot von Journal-unabhängigen Originalstudien der Pharmaindustrie im Web.

5. Forderung nach staatlichen Maßnahmen

Aus meiner Sicht sollten wir bei Forschungsförderung aus öffentlichen Kassen (über die Grundförderung durch die Universität hinaus) zusätzlich zu den von der DFG vorgeschlagen Empfehlungen gleichartig wie in den USA handeln, da eine Reihe der Mechanismen (Stichwort: peer-review) in der Vergangenheit z.B. im Fall Herrman/Brach versagt haben. Zumindest sollte dies für Forschungen mit öffentlichen Mitteln geschehen. Einen Ansatz dazu gibt es schon, die DFG will als eine Maßnahme Hochschulen, die den Ehrenkodex nicht umsetzen, keine Fördermittel mehr zahlen(46). Die möglichen Sanktionsmaßnahmen, insbesondere die Verpflichtung inkriminierte Publikationen zurückzuziehen, (Stichwort: Datenqualität in Datenbanken), müßte jeder Antragsteller für Fördermittel vorab schriftlich akzeptieren. Es wäre zu begrüßen, wenn in Forschungsverträge mit der Industrie gleichartige Bestimmungen aufgenommen würden. Zusätzlich sollten Forschungsvorhaben in Datenbanken dokumentiert werden, der Zugang zu ihnen (öffentlich oder nicht) ist zu diskutieren. Das BMG plant für vorerst interne Zwecke die im DIMDI aufzulegende Datenbank FOKOSYS. Ich glaube, dass die diskutierte Vorgehensweise für den Nutzer wissenschaftlicher Informationen erhebliche Vorteile bringen und ihm bei seinen Entscheidungen auf der Basis von Informationen in Datenbanken sehr viel mehr Sicherheit geben würde.

Aber : "Solange die Forschergemeinde so viel Wert auf Gedrucktes in rauhen Mengen legt, wird sie sich auch immer häufiger mit Betrug auseinander setzen müssen" .

(zitiert nach J. Rubner).

Anhang               

Literatur:

1. S.a. H.G. Schweim, "Das Consort-Statement - Chancen zur Wertsteigerung von Informationsprodukten", Tagung "Qualitätssicherung wissenschaftlicher Publikationen",Universität Ulm, 17.06.97. In : Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie (PpmP) 11, 410 - 411 (1997).
2. Unter Qualität ist die "Wie-Beschaffenheit" von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen zu verstehen, die - zunächst ohne jedes Werturteil - anhand von validen Indikatoren ermittelt ("gemessen") werden kann. Die Ergebnisse dieser "Messung" bilden die Grundlage für Maßnahmen der Qualitätssicherung und - wenn notwendig oder erstrebenswert - der Verbesserung der Qualität.

(zitiert nach:

http://www. awmf@uni-duesseldorf.de)

3. A. Röttger,, Verlorene Forschungsresultate, Die Welt vom 12.11.96
4. A. Blum " Der Mythos der objektiven Wissenschaft" u.a. Artikel der Rubrik Wissen S. 35-38 Die Zeit vom 10.07.98
5. R. Zell, Der Autor als Phantom, Die Zeit vom 01.08.97
6. Die (ältere) US-amerikanische Situation ist zusammenfassend dargestellt in: Stefanie Stegemann-Boehl: Fehlverhalten von Forschern. Eine Untersuchung am Beispiel der biomedizinischen Forschung im Rechtsvergleich USA-Deutschland, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1994 (Medizin in Recht und Ethik, Band 29), Seite 94.
7. Patricia K. Woolf: "Deception in Scientific Research", in: AAAS-ABA National Conference of Lawyers and Scientists, "Project on scientific fraud and misconduct." Report on workshop number one. Washington D.C.: American Association for the Advancement of Science, 37-86 (1988).
8. Eine Kurzfassung der öffentlich bekannten Informationen findet sich im Anhang.
9. vergl. Artikel der Rubrik Wissen S. 35-38; Die Zeit vom 10.07.98 , "Lügenbarone"
10. P. Nuhn, DAZ, 7, 518-20 (1997)
11. http://www.mpg.de/fehlver.htm

Ausgabedatum 14.11.1997

12. D. Cooper-Mahkorn, BMJ, 318, 1850 (1998)
13. J. Rubner, SZ vom 27.06.1997
14. DIMDI-homepage, Infomaterial:

http://www.dimdi.de

15. M.P.Pfeifer und G.L. Snodgrass, The continued use of retracted, invalid scientific literature, JAMA, 263 (10) 1420-3 (1990)
16. ISBN 3-527-27212-7, Wiley-VCH Verlag , Weinheim, 1998;

http://www.dfg-bonn.de/aktuell/empf_selbstkontr.htm

17. S. Döpfmer, u. I. Guggenmoos-Holzmann, DMW, 122, 589-593 (1997).
18. H.T. Stelfox et al., NEJM ,338, 101 (1998).
19. Nach G. Antes, A. Rüther, J. Kleinen, MMW, 50, 829-823 (1996) u. dort zit. Lit.
20. FAZ Kommentar "Niederlage" vom 24.06.98
21. Nach der Pressemitteilung des BfArM vom 04.02.1997
22. Nach C. Berg, PZ, 37, 1997
23. Aktenzeichen: VG 14 A 360.97/361.97/379.97
24. Pressemitteilung der SCHERING AG vom 19.12.1997
25. "Niederlage", FAZ Kommentar vom 24.07.98
26. Der Tagesspiegel, S. 32 vom 21.06.98
27. Text gekürzt aus: ISBN 3-527-27212-7, Wiley-VCH Verlag , Weinheim, 1998
28. http://www.ori.dhhs.gov,

Kurzzusammenfassung siehe Lit. 27, S. 36ff.

29. http://www.ori.dhhs.gov
30. http://www.forskraad.dk/spec-udv/uvvu/index-uk.html
31. Fact Sheet "Errata, Retraction, Duplicate Publication and Comment Policy";

http://www.nlm.nih.gov/pubs/factsheets/factsheets.html.

32. S. Kotzin et.al. Bull.Med. Libr. Ass. 77 (4), 337-342 vom 04.10.1989
33. L.A. Colaianni, The Lancet, .340, 536 vom 29.08.1992
34. Veröffentlicht z.B. in grips-news 2/98 S.22ff

s.a. http://www.dimdi.de

35. E. Garfield, The Scientist, 9 (23), 12ff (1995)

http://www.cussler.nis.pitt.edu/DOC/97/65/52936/01.html

36. B. Steel, University Times, 29 (13), (1997)
37. http://www.cussler.nis.pitt.edu/DOC/97/65/52936/01.html
38. BMJ 315, 201 (1997)
39. J. Rubner, SZ vom 27.06.97
40. ISBN 3-527-27212-7, Wiley-VCH Verlag , Weinheim 1998
41. U. Schnabel, Die Zeit v.02.07.98
42. B. Bornkessel, MMP, 6, 158-160 (1997) und dort zit. Lit.
43. Zu nutzende Systeme gibt es schon in großer Zahl: z.B. IUPAC, ATC, usw.
44. Z.B. Acta Cristallogrphica, Zeitschr. F. Kristallographie
45. Deposit of data:

http://www.ccdc.cam.ac.uk,

address for e-mail deposition: deposit@ccdc.cam.ac.uk

46. SZ vom 17.12.97

Schriften